Berlin/München – Der sonst sehr wortgewaltige Robert Habeck ist an diesem Abend nur schwierig zu verstehen. In sehr komplizierten Sätzen erklärt der Vizekanzler in der Bundespressekonferenz seinen Plan. Er berichtet von „stundenhaften Mangelsituationen“, aber dann auch wieder von einem „sehr robusten Stromsystem“. Dann wieder erklärt er, man müsse „mit dem Schlimmsten rechnen“. Aber macht deutlich, dass es nicht so schlimm werden wird. Am Ende des Auftritts intervenieren mehrere Journalisten, das hätten sie nun leider nicht verstanden.
So kompliziert wäre es dabei gar nicht. Die nüchternen Fakten: Der groß angekündigte Stresstest für das Stromnetz hat ergeben, dass es im Winter eine 4,6 Gigawatt große Lücke geben kann, wenn alles schlecht läuft und auch aus dem Ausland nicht genügend Strom zu beziehen ist. Dass aber die verbliebenen drei Kernkraftwerke nur einen kleinen Teil der Lücke (0,5 Gigawatt) füllen können.
Habeck leitet daraus einen Vorschlag für einen Kompromiss ab. Zwei von drei Meilern – Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg – werden nicht wie geplant ganz gekappt. Sie sollen als „Notreserve“ vorgehalten werden.
Auf mehrfache Nachfrage an Habeck wird klar: Vermutlich werden sie, wenn im Dezember noch kein Engpass herrscht, abgeschaltet. „Für den Fall, dass wir sie brauchen, fahren wir sie wieder hoch.“ Eine Woche werde das jeweils rund dauern, mit den Betreibern sei das besprochen. Das will er strikt auf April 2023 beschränken. Keine neuen Brennstäbe, keine neuen Sicherheitsprüfungen. Atomenergie sei „eine Hochrisiko-Technologie“, betont der Grünen-Politiker. Und beim dritten AKW, dem Meiler Emsland in Niedersachsen, bleibe es definitiv beim endgültigen Schluss heuer zum Jahresende. Einen erneuten Notbetrieb im darauffolgenden Winter 23/24 schließt er ebenfalls kategorisch aus. „Es ist einmalig.“
Habeck bleibt damit hinter dem zurück, was in Berlin in den vergangenen Tagen erwartet worden war. Der oft zitierte „Streckbetrieb“ von drei Kraftwerken ist das ja nicht, denn die Meiler werden heruntergefahren und nur im Notfall wieder in Betrieb genommen. Er nimmt da wohl auch Rücksicht auf die eigene grüne Partei, in der es massive Vorbehalte gegen die Kernenergie gibt, die diese Lösung aber – so ist den ersten Äußerungen vom Abend zu entnehmen – gerade noch mittragen würde. Er wisse, dass das Thema „traditionell hohe politische Wellen schlage, viele Emotionen binde“, sagt er. Man müsse in dieser Lage schwierige Entscheidungen treffen, dazu zähle auch der Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke, den er eigentlich für „Mist“ halte.
In der Koalition dürfte es in den folgenden Tagen Ärger geben. Noch am Abend äußern mehrere FDP-Abgeordnete scharfe Kritik. Das sei „zu wenig“, sagt die Parlamentarierin Nicole Bauer. Sie fordert neue Brennstäbe und um drei bis fünf Jahre längere Laufzeiten. Führende FDPler stellen den Stresstest als überzogen positiv dar und werfen Habeck vor, er sei „mit grüner Brille“ unterwegs.
Die Union kritisiert Habecks Ansage am Abend sehr scharf. Von einem „Flickenteppich“ und „Ausflüchten“ spricht CDU-Chef Friedrich Merz. Er hatte sogar die Reaktivierung dreier weiterer AKW gefordert.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagt unserer Zeitung, Habeck agiere „vollkommen verantwortungslos“. Die Ampel provoziere „regionale Blackouts und riskiert eine Wirtschafts- und Sozialkrise“. Dobrindt rügt, inmitten dieser Lage auch noch Strom vom Markt zu nehmen, sei ein „fataler Fehler“, der Bürger und Wirtschaft noch bitter zu stehen kommen könne.