München – Die Einladung klingt unverfänglich. Man wolle einfach mal „die Bandbreite der extremistischen Agitation vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs aufzeigen“, teilt Bayerns Innenministerium mit, derzeit sei die Lage ja ein „idealer Nährboden für Extremisten“. Und bittet für Donnerstag zum Gespräch mit Minister Joachim Herrmann, CSU, und Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner. So allgemein wird die Aussage aber nicht bleiben: Nach Informationen unserer Zeitung wird bei dem Termin auch verkündet, dass der Verfassungsschutz nun auch Bayerns AfD beobachtet.
In einem Rechtsstaat ist das ungewöhnlich, selten: Der Inlandsgeheimdienst stuft eine auf demokratischem Weg in den Landtag gewählte Partei als so gefährlich ein, dass er sie mit V-Leuten und Abhörmaßnahmen ins Visier nehmen kann. Noch ist das keine Festlegung, die Partei sei extremistisch – aber der Beginn der Suche nach Belegen.
Das Landesamt für Verfassungsschutz bestätigte die Beobachtung. Man müsse nun aufklären, „inwieweit sich tatsächliche Anhaltspunkte, dass die AfD als Gesamtpartei Bestrebungen verfolgt, die den Kernbestand des Grundgesetzes zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen, verfestigen“, betont ein Sprecher auf Anfrage. Grundlage seien die Erkenntnisse über die gesamte AfD, die bundesweit schon als Verdachtsfall eingestuft ist. Sie besäßen „auch für Bayern Gültigkeit, zumal auch Erkenntnisse aus Bayern in das Gesamtgutachten eingeflossen sind“. Außerdem gebe es keine Anhaltspunkte, dass sich der Landesverband von Zielen der Bundes-AfD distanziere. Bayernweit wurden bisher nur die „Junge Alternative“ und der offiziell aufgelöste „Flügel“ beobachtet.
Dass die Landesbehörde der Entscheidung des Bundesamtes folgt, ist ein logischer Schritt, den andere Länder schon vollzogen haben. Für die Bayern-AfD heißt dies, dass ihre Strukturen künftig kleinteiliger durchleuchtet werden können. Alle nachrichtendienstlichen Mittel sind zulässig, sofern sie verhältnismäßig sind. Ausgenommen sind die 17 verbliebenen Landtagsabgeordneten, für sie gelten schlicht höhere Hürden. Grob gesagt: Wer sein Mandat nicht offensiv zum Kampf gegen die freiheitliche Grundordnung einsetzt, ist vor Beobachtung geschützt. Deshalb war auch die Beobachtung dreier AfD-Politiker kurz nach deren Einzug ins Maximilianeum 2018 eingestellt worden.
Dass es in Bayerns AfD extreme Tendenzen gibt, ließ sich Ende 2021 aus einem brisanten Chat-Verlauf ablesen. Funktionäre und Mandatsträger aller Ebenen tauschten sich darin aus, einige Einträge handelten von „Bürgerkrieg“ und „totaler Revolution“. Auch über die „Systemfrage“ wurde schwadroniert. Als das öffentlich wurde, rotierten nicht nur linke Parteien. Auch Ministerpräsident Markus Söder sprach von einer „völlig neuen Qualität“ und forderte den Verfassungsschutz zum Handeln auf.
Zuletzt hatten die Verfassungsschützer in Baden-Württemberg und Hessen angekündigt, die AfD zu beobachten. Die AfD-Spitze in Berlin wütete. „Wir lassen uns als Alternative nicht kaputtmachen“, sagte Parteichef Tino Chrupalla, der wie Co-Chefin Alice Weidel beim „Flügel“ verortet wird. Bayerns Landeschef Stephan Protschka, ebenfalls „Flügel“-nah, scheint das lockerer zu sehen. Beim Gillamoos in Abensberg orakelte er noch, Bayerns AfD werde ganz bestimmt vor 2023 beobachtet. Fast prophetisch. mmä/cd