München – Die Ergebnisse des Stresstests der deutschen Stromversorgung erhitzen die Gemüter. So viele Szenarien die Analyse der vier großen Übertragungsnetzbetreiber bietet, so viele Meinungen gibt es zum Thema. Relevant sind vor allem zwei im Stresstest geprüfte Szenarien: das schlechte und das sehr schlechte.
Was hat der Stresstest untersucht?
Der Test hat diverse Risiken untersucht, die im Winter auf die deutsche Stromversorgung zukommen könnten. Die wohl größte Bedrohung ist die unklare Lage bei den französischen Atomkraftwerken, die wegen Korrosionsschäden und niedrigen Flusspegelständen größtenteils stillstehen. Die Netzbetreiber erwarten, dass im schlechtesten Szenario 40 von 61 Gigawatt über den Winter wieder am Netz sind. Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft, sieht hier noch weitere Risiken: „Derzeit sind es nur 24 Gigawatt am Netz. Da muss also noch viel wieder in Betrieb gehen.“ „Viel zu optimistisch“ seien die im Stresstest unterstellten Annahmen, kritisiert auch die FDP.
Sorgenkinder Bayern und Baden-Württemberg
Bayern und Baden-Württemberg gelten vielen Experten als energetische Sorgenkinder. „Man geht davon aus, dass es in Norddeutschland weniger Probleme gibt, weil es dort weniger Strombedarf und mehr Windkraft hat, die insbesondere im Winter nutzbar ist“, erklärt Verbandschef Fischer. „Weil die Nord-Süd-Trassen noch nicht fertig sind, wir in Süddeutschland einen hohen Strombedarf haben und gleichzeitig Kraftwerke stillgelegt haben und mit Isar 2 sowie Neckarwestheim 2 die letzten Kernkraftwerke in Süddeutschland auch noch abschalten, sind dort am ehesten Schwierigkeiten zu erwarten.“
Was ist das Ergebnis des Stresstests?
Wenn viele Umstände zusammenkommen, kann Deutschland seinen Strombedarf zeitweise nicht decken und muss aus dem Ausland zukaufen. Unterm Strich fehlen im schlechten Szenario 5,1 Gigawatt, im sehr schlechten 8,6 Gigawatt. Zur Dimension: Mit einem Gigawatt Leistung lassen sich rein rechnerisch rund 2,2 Millionen Haushalte versorgen. Habecks Bundeswirtschaftsministerium beteuert jedoch: Das sind sehr unwahrscheinliche Szenarien für sehr wenige Stunden im Jahr.
Was kann Atomkraft beitragen?
Die Atomkraftwerke können die Strompreise dämpfen, ihre Wirkung für die Netzsicherheit aber nicht voll entfalten, heißt es im neuen Stresstest. Das liegt an den fehlenden Stromtrassen.
Macht der Reservebetrieb Sinn?
Die Bundesregierung will nur zwei der drei verbleibenden deutschen Kernkraftwerke nur bei Bedarf hochfahren – laut Robert Habeck dauert das jeweils eine Woche. Er wolle erst wissen, ob man die AKW „wirklich“ brauche. Auf die Frage eines Journalisten, ob es nicht besser wäre, gleich Klarheit zu schaffen und die Atommeiler durchgehend weiterlaufen zu lassen, äußerte sich Stefan Kapferer vom Netzwerkbetreiber „50 Hertz“ schmallippig: „Wir haben den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke als einen Baustein empfohlen. Der Minister will sich das noch überlegen. Wir nehmen das zur Kenntnis.“ Auch Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands, äußerte sich in der „Bild“-Zeitung kritisch. Der Plan, dass die AKW bei Bedarf jeweils hoch- und runtergefahren werden, um Schwankungen bei Wind und Sonne zu puffern, sei aus dem Reservebetrieb nicht umsetzbar: „Diese zeitkritische Funktion können die Kernkraftwerke in der Notreserve so nicht wahrnehmen, da das Anfahren aus dem Kaltbetrieb ein mehrtägiger Prozess ist.“
Auch Detlef Fischer hat für Habecks Strategie kein Verständnis: „Wenn wir uns entscheiden, die Anlagen über das Jahresende hinaus betriebsbereit zu halten, sollten sie auch durchgehend Strom liefern und damit ihrer fraglos preisdämpfenden Wirkung nachkommen.“