Plötzlich wird der Kanzler wütend

von Redaktion

VON MICHAEL FISCHER, JÖRG BLANK UND SASCHA MEYER

Berlin – Während sich Oppositionsführer Friedrich Merz am Rednerpult des Bundestags noch über den „Irrsinn“ der Ampel-Koalition beschwert, blättert Olaf Scholz auf der Regierungsbank noch einmal in seinem Manuskript – was man halt so macht, wenn man als nächster dran ist: Noch mal schnell schauen, ob auch alles passt. Scholz ist schnell damit fertig. Wahrscheinlich hat er sich schon zu diesem Zeitpunkt entschieden, dass er den Text nicht brauchen wird.

Als er wenige Minuten später rüber zum Pult geht, nimmt er zwar die paar Seiten mit, die man ihm aufgeschrieben hat. Aber nur ganz am Anfang schaut er noch zwei, drei Mal drauf. „Verehrter Kollege Merz, ich habe Ihnen eben sehr genau zugehört“, beginnt er. „Ich will Ihnen eins antworten: Unterschätzen Sie unser Land nicht, unterschätzen Sie nicht die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. In schweren Zeiten wächst unser Land über sich hinaus, wir haben eine gute Tradition uns unterzuhaken, wenn es schwierig wird.“

Was dann folgt, ist ein Olaf Scholz, wie man ihn in seinen neun Monaten als Kanzler zumindest im Bundestag noch nicht erlebt hat: Angriffslustig, emotional, fast wütend. Mit der linken Hand hält er sich am Pult fest. Die rechte ballt er immer wieder zu Faust, aus der er manchmal den Zeigefinger herausstreckt, in Richtung Merz. „Und wenn andere die Probleme lösen, die Sie noch nicht mal erkannt haben, dann reden Sie auch noch drumrum.“

Der Kanzler kann also auch Attacke. Noch nie ging er im Parlament so aus sich heraus. Scholz hat schwierige Wochen hinter sich, in denen der Druck, etwas gegen die drastischen Preissteigerungen zu tun, immer weiter gewachsen ist. In denen ihm immer wieder Zaudern und Zögern vorgeworfen wurde. Am Sonntag hat er mit seiner Ampel ein 65-Milliarden-Paket zur Entlastung der Menschen geschnürt. Und jetzt wirkt er, als wolle er einfach mal Luft ablassen. Die Attacken von Merz zum Auftakt der Generaldebatte kommen ihm da nur gelegen.

Der CDU-Chef wirft Scholz vor, mit seiner Zögerlichkeit bei den Waffenlieferungen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu verlängern. Außerdem: keinen Kompass in der wirtschaftlichen Krise zu haben. Die Entlastungs-Beschlüsse seien ein „Sammelsurium an Kompromissen auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners“. Und: Mit dem Nein zu einem AKW-Weiterbetrieb schädige er den Wirtschaftsstandort, vielleicht unwiderruflich.

Merz macht das, was ein Oppositionsführer in einer Generaldebatte eben tut: attackieren. Das Kuriose ist, dass auch Scholz in seiner Rede zeitweise in den Modus eines Oppositionspolitikers übergeht und einige Zeit darauf verwendet, die frühere von der CDU-Kanzlerin Angela Merkel geführte Regierung anzugreifen.

Während CDU-geführte Ministerien es nicht problematisch gefunden hätten, dass die Gasspeicher im letzten Jahr leer gewesen seien, habe die Ampel dafür gesorgt, dass sich das ändere, sagt er zum Beispiel. Die Versäumnisse beim Ausbau der erneuerbaren Energien kleidet er in den Ausruf „Das waren Sie!“ und zeigt dabei auf Merz. Was Scholz nicht sagt: Er war selbst Teil dieser Regierung.

Scholz bekräftigt aber seine Krisen-Versprechen an die Bevölkerung: „You’ll never walk alone“ – niemand wird alleine gelassen, vor allem finanziell. Und: „Wir kommen wohl durch, trotz aller Anspannungen, durch diesen Winter.“ Er wird daran wohl gemessen werden.

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