Bern/Berlin – Die Entscheidung der Schweiz für den Standort ihres Atommüll-Endlagers nahe der baden-württembergischen Ortschaft Hohentengen ist auf beiden Seiten der Grenze skeptisch aufgenommen worden. Das Gebiet Nördlich Lägern war vor einigen Jahren als eher nicht geeignet eingestuft worden, wurde nun aber doch unter den drei verbliebenen Standorten ausgewählt, wie die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) am Samstagabend mitteilte. Genauer erläutern will die Nagra dies heute. Zudem ist am 15. September eine Informationsveranstaltung in Hohentengen geplant, in der die Nagra ihre Entscheidung vor Ort erklären will.
Baden-Württemberg pocht auf den Schutz der in der Region lebenden Bürger. Landes-Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) teilte gestern in Stuttgart mit: „Der Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor radioaktiver Strahlung muss gewährleistet sein, insbesondere aber auch der Grundwasserschutz.“ Walker sagte, man nehme die Pläne zur Kenntnis und werde sie nun vertieft prüfen. Der Standort Nördlich Lägern liege in unmittelbarer Grenznähe, insbesondere zum Landkreis Waldshut, aber auch zu den Kreisen Lörrach, Konstanz und dem Schwarzwald-Baar-Kreis. Somit leiste die baden-württembergische Bevölkerung einen großen Beitrag zur Endlagerung des schweizerischen Atommülls. „Dies muss sich aus unserer Sicht zwingend adäquat bei den anstehenden Abgeltungsverhandlungen niederschlagen“, so Walker.
Martin Steinebrunner, der die Deutsche Koordinationsstelle Schweizer Tiefenlager (DKST) beim Regionalverband Hochrhein-Bodensee vertritt, sagte: „Bei der Aushandlung von Kompensationszahlungen wollen wir angemessen beteiligt werden, sowohl bei den Verhandlungen als auch im Ergebnis. Manche deutschen Gemeinden liegen näher am Lager als Schweizer Gemeinden, die berücksichtigt werden sollen.“ Nun müssten die geplanten Oberflächenbauten konkretisiert werden. Die zunächst geplanten Bauten liegen etwa 2,3 Kilometer südlich der Landesgrenze. „Man muss anerkennen, dass die Schweiz ein rationales Verfahren hat und die Betroffenen einbezieht. Ob wir das in Deutschland ähnlich gut hinbekämen, wenn unser Endlagerstandort in Grenznähe wäre, muss sich noch zeigen“, betonte Steinebrunner.
Der Bürgermeister von Hohentengen, Martin Benz, will den Entscheidungsträgern sehr genau „auf den Zahn fühlen. Sie müssen sehr gut begründen, warum ein zurückgestellter Standort plötzlich zum präferierten Standort wird“, sagte er. Den Bewohnern sei klar, dass der radioaktive Müll vorhanden ist und entsorgt werden muss, sagte Benz. Auch sie seien für die Lagerung am sichersten Ort. „Aber diese Fragen müssen beantwortet werden: Was gibt es für Störfallszenarien, und wie ist man darauf vorbereitet?“
In Deutschland steht die Entscheidung für einen Endlager-Standort frühestens 2031 an. Die Brennelemente landen derzeit in Zwischenlagern, die sich meist an den Standorten der Atomkraftwerke befinden. Das Verfahren wurde 2013 von vorn begonnen und soll bis 2031 abgeschlossen sein. Bayern wehrt sich nach Kräften gegen einen Atommüll-Endlager-Standort. Ministerpräsident Markus Söder hält Bayern dafür geologisch für ungeeignet. CHRISTIANE OELRICH