Das Verstörende mitten in der Kirche

von Redaktion

Buch über „Heillose Macht“ liefert bedrückende Beispiele von einer Kultur der Angst

München – „Heillose Macht“ erzählt von der Kultur der Angst im kirchlichen Dienst – vielmehr: das Buch lässt erzählen. Gut 50 Männer und Frauen, Haupt- und Ehrenamtliche, die meisten bleiben anonym, haben in erschütternden Berichten ihr Erleben von Machtmissbrauch in der katholischen Kirche offengelegt.

Gesammelt haben die entlarvenden Beiträge die Coaches Thomas Hanstein und Peter Schönheit sowie dessen Frau Hiltrud Schönheit, Vorsitzende des Katholikenrats in der Region München. Hanstein war mal persönlicher Referent von Bischof Gebhard Fürst (Bistum Rottenburg-Stuttgart) und ist beurlaubter Diakon. Allein die Tatsache, dass die meisten Autoren nicht namentlich erscheinen wollen, ist ein Statement: „Die Botschaft in Richtung der Kirche und ihrer Verantwortlichen lautet: Obwohl wir uns trauen, trauen wir euch (noch immer) nicht – beziehungsweise fast alles zu!“, werden die Stimmen der Betroffenen zusammengefasst. Die Herausgeber, die schon viel gesehen, gehört, erlebt haben in Mutter Kirche, zeigen sich schockiert über das „Toxische, Ver- und Zerstörende mitten in der Kirche“, das Menschenverachtende.

500 Katholiken, Frauen wie Männer, Kleriker, Ordensleute, Haupt- und Ehrenamtliche, wurden angeschrieben – geantwortet haben zehn Prozent. Da schildert eine Pastoralreferentin, wie Priester von Gläubigen auf den Sockel gestellt werden. Als sie zum Abschluss eines Abendlobs den Segen gesprochen hat, fragt eine Frau: „Herr Pfarrer, können Sie bitte noch einen richtigen Segen sprechen?“

Ein Ständiger Diakon schreibt, dass er einer ortsansässigen Reformgruppe angehört – und sein vorgesetzter Pfarrer ihn vor die Wahl stellte, aus der Gruppe auszutreten oder aus seinem Pfarrverband zu verschwinden. Weil sich der Diakon weigerte – und den Verantwortlichen im Generalvikariat klar war, dass das kein Versetzungsgrund war – „haben sie sich eine andere Begründung für eine Strafversetzung ausgedacht“, schreibt er. Er wurde „wegen einer aktuellen Notsituation“ in der Krankenhausseelsorge versetzt. Nicht einmal von der Gemeinde durfte er sich verabschieden.

„Macht kann man nutzen, um andere zu ermächtigen! Man kann Macht aber auch nutzen, um andere kleinzuhalten und die eigene Machtposition auszubauen“, schreibt eine Pastoralreferentin, die von ihrem Pfarrer kaltgestellt wurde. Und die Personalverantwortlichen hätten erklärt, da sei nichts zu machen, wenn der Pfarrer das in seiner Leitungsrolle so entscheide.

Katholiken erführen oft nichts darüber, wie Hauptberufliche unter „binnenkirchlicher Machtsituation“ litten. Kirchliche Mitarbeiter fühlten in der Regel eine starke Loyalität zu ihrem Dienstgeber, erklären die Herausgeber in ihrem Analyse-Teil. Zudem hätten viele Mitarbeitende eine Überlebenskompetenz entwickelt, um ihre eigene Spiritualität zu schützen. Doch, so warnen sie, systemisch schütze das die Doppelmoral der Kirche. Als erschreckendstes Beispiel bewerten die Autoren einen Fall einer kirchlich geforderten Abtreibung bei Schwangerschaften durch Priesteramtskandidaten – bezahlt und angewiesen durch ein Generalvikariat. Davon berichtet eine Theologin in dem Buch.

Die an die Berichte anschließende Analyse versteht sich als Versuch, die Phänomene zu strukturieren. Vieles sei bis heute nicht greifbar, aber wirkmächtig. Mit Verweis auf die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt in der Kirche bemängeln die Herausgeber, dass die Bischöfe über den Zustand des Schocks nicht herausgekommen seien. „Nach über einem Jahrzehnt der Talfahrt immer noch zu stammeln oder gute inhaltsstarke Begriffe wie Reue oder Betroffenheit für ihre Öffentlichkeitsarbeit zu instrumentalisieren, anstatt sich auf das, was die Betroffenen zu sagen haben, einzulassen und es in eine notwendige Systemkorrektur zu integrieren, ist nicht mehr akzeptabel.“

Unter anderem schlagen die Autoren vor, hoch qualifizierte Mitarbeiter und Ehrenamtliche in Bereichen einzusetzen, die kein Pfarrer in seiner Ausbildung gelernt habe. Überforderung sei in vielen Beispielen als Beschleuniger von Machtmissbrauch festzustellen. Es gebe in Deutschland derzeit noch eine hinreichende Zahl von Mitarbeitenden, die zur „selbstorganisierten Mitarbeit“ bereit seien. Das bestmögliche Ergebnis werde in einem austarierten Prozess aller Beteiligten anvisiert. Und nicht das, was der Herrscher zu sehen meine und für gut befinde. Dazu müsse Kirche aber auf eine Leitungsvollmacht verzichten, die sich rein in der Weihe begründe. „Solange dies nicht in letzter Konsequenz erfolgt, herrschen auch heute und morgen weiterhin heillose Strukturen, Macht und Angst im kirchlichen Dienst.“

Heillose Macht

Von der Kultur der Angst im kirchlichen Dienst – von Thomas Hanstein, Hiltrud und Peter Schönheit (Hrsg.), 240 S., Herder, 22 Euro.

Artikel 3 von 11