München – Der erste Schultag ist perfekt und fehlerfrei vorbereitet. Jedenfalls für die Politiker. Knallgelbe Signaljacken liegen bereit, rote Warnkellen, die Polizei ist in großer Stärke vor Ort, eine Gruppe bezaubernder Erstklässler mit ihren Schultüten ist zugegen, und natürlich eine Gruppe Fotografen und Kameraleute. Die Aufnahmen, wie Markus Söder und zwei Minister in München eine Gruppe ABC-Schützen über die Straße lotsen, gelingen prächtig. Nur eines bleibt offen an diesem Septemberdienstag: Ist der Schulbeginn für Kinder und Lehrer mit ähnlich großer Hingabe vorbereitet?
Seit Tagen werden die Töne da schriller in der Landespolitik. Lehrerverbände beklagen immer lauter, es fehlten tausende Kollegen. Bayern steuere auf massenhaften Stundenausfall zu. Es gebe zu wenig Schulbücher fürs neunjährige Gymnasium. Und vielleicht breche wieder Corona über die Schulen ein. „Fataler geht es nicht“, bilanzierten die Grünen im Landtag zum Ferienende.
Ist das nur das übliche Verbands-Gejammer, im Schulwesen besonders ausgeprägt, und Oppositions-Ritual? Viel wird von den nächsten Wochen abhängen. Für jede Staatsregierung ist der Schulstart stets ein heikler Termin. Bildungspolitik ist reine Ländersache. Läuft es gut, nehmen es Millionen Eltern als gegeben hin. Häuft sich Unterrichtsausfall, schlägt das sofort auf den Familienalltag durch – und der Groll richtet sich gegen Kultusminister und Ministerpräsident, und das recht genau ein Jahr vor der Landtagswahl.
Man sieht am Dienstag deshalb einen konzentrierten, aber auch etwas genervten Schulminister vor den Kameras. Michael Piazolo (Freie Wähler) tritt energisch den Zahlen der Verbände entgegen, trägt seine eigenen vor: Nie hatte Bayern mehr Lehrer als jetzt, 7000 Vollzeitstellen mehr als vor sieben Jahren, als die Schülerzahlen ähnlich hoch waren. Gleichzeitig schaffe man es, heuer 45 000 Schüler mehr als vergangenes Jahr zu beschulen, und auch 30 000 junge Ukrainer in die Grundschulen zu integrieren oder (die Älteren) in bayernweit 800 Brückenklassen gesondert zu fördern. „Die Herausforderungen sind größer geworden“, sagt Piazolo, „aber die Klassen kleiner.“
Weniger nach ministerieller Schönrednerei klingt: Piazolo stimmt Eltern, Kinder und Lehrer gleichzeitig auf ein schwieriges Jahr ein. „Es wird in einigen Bereichen eng werden“, sagt er auch, vor allem jenseits der Pflichtstunden. Noch seien einige Lehrerverträge offen. Eine Coronawelle, nach der Wiesn zum Beispiel, werde sicher temporär größere Lücken ins Lehrerzimmer reißen.
Corona selbst ist nach seiner Prognose an den Schulen diesmal nicht prägend. Die Maskenpflicht wird es vorerst nicht geben, lediglich eine „Empfehlung“. Tests für alle sind auch nicht vorgesehen. Piazolo sagt nur zu, dass sich Eltern „bis zu sechs Schnelltests“ pro Schüler besorgen dürften. Ist ein Schüler krank, muss er zwingend zuhause bleiben, auch wenn für die Rückkehr kein Attest nötig ist. Beim Präsenzunterricht soll es, wie schon die letzten Monate, bleiben.
Eine Lockerung peilt er, dem Vernehmen nach auch auf Rat aus der Staatskanzlei, an: Im Lauf des Jahres sollen schwangere Lehrerinnen wieder vor die Klassen treten dürfen, falls sie wollen – aktuell gilt wegen der Pandemie-Risiken ein totales Betretungsverbot. Längst überfällig, sagt der FDP-Bildungspolitiker Matthias Fischbach. Und spottet, hoffentlich mache der Minister nicht in diesem langsamen Tempo weiter.
Piazolo beschreibt die Lage insgesamt als eine „solide Unterrichtsversorgung“ für Bayerns 1,68 Millionen Schüler. Das neue Schuljahr ist aber auch aus anderen Gründen eine Herausforderung: Schwierig ist etwa die Frage, wie Klassenzimmer, Gänge und Toiletten trotz der Energiekrise beheizt werden können. Und wie sich das Heizen mit dem Corona-Lüften und das Energiesparen mit den Luftfiltern vertragen.