Als OB Reiter und Ministerpräsident Söder in seltener Eintracht das Comeback der Wiesn besiegelten, brauchten viele Münchner Mediziner und Pflegekräfte beinahe selbst Bluthochdrucktabletten – und zwar vor Wut. Seit zweieinhalb Jahren kämpfen sie gegen die Folgen der Pandemie, die Personalnot in den Kliniken ist dramatisch. Nun aber wird Corona für so harmlos erklärt, dass man guten Gewissens sechs Millionen Menschen Arm in Arm schunkeln lassen kann. Gestern verkündete Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann launig, er wechsele vom „Team Vorsicht“ ins „Team Liberalisierung“. Die Masken fallen, nicht nur im Bierzelt. Auch Impfungen werden längst nicht mehr so energisch eingefordert wie noch vor ein paar Monaten. Aber geht von Corona wirklich keine Gefahr für die Gesellschaft mehr aus? Zweifel sind angebracht. Schon ein geringer Anstieg an Covid-Patienten und noch mehr Personalausfälle werden die Kliniken dem Kollaps näherbringen.
Immerhin hat sich die Ständige Impfkommission jetzt endlich dazu durchgerungen, eine Empfehlung zum Boostern zu veröffentlichen. Viel zu spät. Denn damit ließ sie viele über Monate im Unklaren, ob sich ein weiterer Pieks – nicht selten mit Nebenwirkungen behaftet – wirklich lohnt. Das Thema Corona verlor an Präsenz, nicht aber an Brisanz. Wir können nur hoffen, dass Omikron nicht den längeren Atem hat als unsere Kliniken.
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