Visa für russische Deserteure

Die Debatte greift zu kurz

von Redaktion

VON MARC BEYER

Es mögen noch keine Auflösungserscheinungen eines Riesenreichs sein. Aber die Bilder der tausenden von Reservisten, die mit allen Mitteln Russland verlassen wollen, vermitteln einen Eindruck, wie sich Menschen abzuwenden beginnen. Bisher war der Krieg für sie nur ein ferner Konflikt. Jetzt ist er eine konkrete Bedrohung.

Aus der Distanz lässt sich leicht kritisieren, dass die, die jetzt gehen, bisher schwiegen. Offener Widerstand gegen diesen Staat erfordert ein Maß an Mut und Leidensfähigkeit, das Bürgern in einer Demokratie nicht abverlangt wird. Die Debatte um die Visavergabe für Deserteure hat deshalb ihre Berechtigung. Sie greift aber zu kurz, wenn am Ende alle, die Putins Krieg ablehnen, pauschal mit offenen Armen empfangen werden.

Das liegt nicht nur daran, dass Deutschland unter vielen anderen Belastungen ächzt und einen womöglich riesigen Strom von Flüchtlingen gar nicht einfach aufnehmen könnte. Bei einem so sensiblen Herkunftsland – und hier dem militärischen Bereich – ist es auch unabdingbar, in jedem Fall genau zu schauen, wer da einreisen will.

Zudem ist offen, wie ein Nebeneinander von Russen und Ukrainern aussehen könnte. Es wäre naiv zu glauben, dass die (nunmehr) gemeinsame Ablehnung der Kämpfe als verbindendes Element reicht. Schon im Balkankrieg hat sich gezeigt: Konflikte machen nicht an Landesgrenzen Halt.

Marc.Beyer@ovb.net

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