Kontaktmann und Zündler

Erdogans zwei Gesichter

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

Der Krieg in der Ukraine stellt alles auf den Kopf. Dass ausgerechnet Recep Tayyip Erdogan – Halbautokrat und Nazi-Vergleichs-Champion – eine Leerstelle der internationalen Politik füllt, ist jedenfalls irritierend. Der türkische Präsident ist gerade das, was Gerhard Schröder gerne wäre: gefragter Kontaktmann mit gutem Draht nach Moskau und Kiew. Positive Folge ist etwa das Getreideabkommen zwischen beiden Seiten, das er maßgeblich verhandelt hat.

Man kann das anerkennen, ohne den Mann gleich zu verklären. Dazu besteht nämlich kein Grund. Was gefährlich unter dem Radar bleibt: In der regionalen Außenpolitik irrlichtert Erdogan derzeit besonders. Da sind nicht nur die scharfen Ankündigungen einer türkischen Militäroffensive in Nordsyrien, sondern auch die ständigen Aggressionen gegen Griechenland. Dass er Athen jüngst offen mit Krieg drohte („Wir können eines Nachts kommen“), erfordert eigentlich eine gepfefferte Antwort der EU.

Die Kraftmeierei auf allen Ebenen lässt sich mühelos erklären: 2023 wählt die Türkei Präsident und Parlament neu und oha: Erdogan und seine AKP schmieren in Umfragen ab. Gründe: schlechte Wirtschaftsdaten und die hohe Inflation, die Erdogan – fast hilflos – dadurch bekämpft, dass er einen Zentralbankchef nach dem anderen feuert. Zur Übertünchung setzt er auf nationalistische Reflexe und lässt das Land von Größe träumen. Das hat in der Vergangenheit funktioniert. Aber es muss nicht so bleiben.

Marcus.Maeckler@ovb.net

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