Berlin – Friseurmeisterin Petra Scholz schickte eine Warnung voraus. Ihre Rede werde „etwas kritisch“ werden, rief sie unlängst vor Demonstranten im sächsischen Plauen. Ihr stehe das Wasser bis zum Hals, sie drohe, alles zu verlieren, sagte die alleinerziehende Mutter. Dann sprach sie vom Widerstand gegen Corona-Impfungen, von Kritik an westlichen Eliten, von medialen Vorgaben, „wie wir zu denken haben“. Am Ende ein Wutausbruch gegen die „Diktatur des Westens“ und die Regierung: „Jagen wir sie endlich zum Teufel!“
Ähnliche Szenen wiederholen sich dieser Tage oft in Ostdeutschland. Sowohl die Linke als auch die AfD und andere rechte Gruppen trommeln zum „heißen Herbst“. Zum Tag der Deutschen Einheit geht es in die nächste Runde. In Plauen mobilisiert der rechtsextreme Dritte Weg, in Berlin sind es „Handwerker für den Frieden“. Dabei mischen sich Klagen über Gas- und Stromrechnungen mit allgemeinem Verdruss, Zweifeln am demokratischen System und Kritik an den Russland-Sanktionen. Das ist weit entfernt von den von Annalena Baerbock befürchteten „Volksaufständen“ – aber der Herbst hat erst begonnen.
„Wir sind erst am Anfang der Mobilisierung“, sagt Linken-Chef Martin Schirdewan. „Da wird noch einiges kommen. In den nächsten Wochen erhalten viele die stark erhöhten Abschlagsrechnungen für Gas und Strom. Das betrifft Millionen Menschen.“ Staatsschützer rechnen mit einer Zunahme der Proteste. „Wir müssen uns auf dieses Szenario einstellen“, sagt der Chef des sächsischen Verfassungsschutzes, Dirk-Martin Christian.
„Grundsätzlich treffen die hohen Energiepreise und die Teuerung natürlich alle bundesweit, allerdings gibt es im Osten weniger Vermögen, einen höheren Anteil kleiner Unternehmen mit weniger Rücklagen und geringere Einkommen“, sagt die Grünen-Politikerin Paula Piechotta, die für den Wahlkreis Leipzig II im Bundestag sitzt. „Der Wohlstandspuffer im Westen ist einfach größer.“ Zugleich sind die Erinnerungen an die Jahre nach der Einheit im Osten frisch, das Zutrauen zur Politik schwach. Nach dem jüngsten Bericht des Ostbeauftragten Carsten Schneider sind nur 39 Prozent im Osten zufrieden mit der Demokratie. Piechotta formuliert es so: „Der Eindruck mancher im Osten ist – und das muss man nicht teilen –, zweimal die Arschkarte gezogen zu haben, 1945 und in den 90er-Jahren, mit jeweils traumatisierenderen Umbrüchen als in Westdeutschland.“ Auch sei für viele im Osten die Beziehung zu Russland anders, das Misstrauen gegen Nato und Rüstungsindustrie groß.
In die Unzufriedenheit klinken sich rechte Gruppen ein. So sieht es Verfassungsschützer Christian: „Die berechtigten Sorgen und Nöte der Bürger dienen den Rechtsextremisten nur als Vehikel für ihre verfassungsfeindliche Agenda.“ Piechotta sagt: „Das Demogeschehen ist im Osten ein anderes, das ist einfach faktisch so.“ Rechte Strukturen hätten sich in der Migrations- und der Corona-Zeit in ländlichen Regionen etabliert – nicht nur die AfD, sondern auch rechtsextreme Gruppen wie die Freien Sachsen. Die Strukturen würden jetzt wieder genutzt.
Die Linken-Spitze legt Wert darauf, sich von der Rechten abzugrenzen – auch auf den Marktplätzen. Geklappt hat das nicht immer. In Brandenburg an der Havel protestierten vor einigen Tagen Politiker der Linken ohne große Distanzierung mit AfD und rechter Szene. Zulauf hat die Rechte so oder so. Laut einer Insa-Umfrage ist die AfD in den östlichen Ländern mit 27 Prozent Nummer eins, bundesweit liegt sie bei 15.
Die Plauener Friseurmeisterin Scholz meint nur: „Die einzigen Extremisten in diesem Land sind die Grünen.“ Bei der „Volksversammlung“ vorige Woche forderte sie: „Geht zu jeder Demo, egal wer sie veranstaltet.“