El Paso – Auch am Wochenende wateten wieder täglich mehr als tausend Migranten ohne gültige Papiere oder Visum durch den Rio Grande. Der Fluss, der den US-Bundesstaat Texas von Mexiko trennt, ist durch Dürre und Rekordhitze auf ein Niveau abgesunken, das eine Durchquerung ungefährlich macht. Aufnahmen aus Hubschraubern zeigen, dass der US-Grenzschutz nur einen Teil der illegalen Einwanderer stellt und registriert. Viele der Migranten aus Mittel- oder Südamerika entkommen den Beamten – doch sie unterscheiden sich damit nicht von denen, die aufgegriffen wurden. Denn nach behördlicher Erfassung werden fast alle dieser Einwanderungswilligen freigesetzt. Nur wer als Krimineller identifiziert wird, dem droht Haft oder schnelle Abschiebung.
Seit Amtsantritt von Präsident Joe Biden haben mehr als drei Millionen Menschen illegal amerikanischen Boden betreten. Die Dunkelziffer wird höher geschätzt. Damit ist das Thema Migration zu einem zentralen Thema geworden, das die Kongresswahlen in gut vier Wochen mitentscheiden dürfte. Während Südstaaten der USA – allen voran Arizona und Texas – von dem ungebremsten Massenansturm längst überfordert sind, bleibt unklar, welches Endziel die Biden-Regierung mit ihrer Migrationspolitik verfolgt. Während unter Donald Trumps restriktiver Grenzpolitik die Zahl der illegal eingereisten Menschen von 11,5 Millionen auf 10,2 Millionen leicht sank, erwarten Experten jetzt bis 2024 einen Anstieg um sieben Millionen. Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas hatte im Mai erklärt, es sei nicht mehr Teil der offiziellen Politik, illegale Einwanderer abzuschrecken.
Was wie eine Einladung zum unerlaubten Grenzübertritt gesehen werden kann, kommt nicht überraschend. Denn bei einem TV-Duell mit Trump hatte der damalige Präsidentschaftskandidat Biden sogar erklärt, es sei ein Fehler Barack Obamas – unter ihm war Biden vier Jahre lang Vizepräsident – gewesen, mehr als drei Millionen illegal Eingereiste zu deportieren. Deshalb hat das Weiße Haus auch Abschiebungen drastisch reduziert. Und schon lange werden unter den Aufgegriffenen keine Covid-19-Tests mehr vorgenommen, sondern lediglich Merkblätter zum Umgang mit dem Virus ausgehändigt. Republikanische Gouverneure wie Greg Abbott (Texas) und Ron DeSantis (Florida) haben in den letzten Monaten mit dem Transport von Migranten in von Demokraten regierte Regionen ein Zeichen dafür setzen wollen, dass sie die Politik der offenen Grenze nicht mehr tolerieren.
Die massiven Nebenwirkungen des anhaltenden Migrantenstroms werden von den meisten US-Medien kaum thematisiert. Schätzungen und Umfragen gehen davon aus, dass bis zu 50 Prozent aller Frauen bei ihrer Reise aus Süd- und Mittelamerika in die USA sexuell missbraucht werden. Mexikanische Drogenkartelle und Schleusergruppen verdienen sich eine goldene Nase – und verlangen von hilflosen Migranten bis zu 10 000 US-Dollar für Hilfe beim Grenzübertritt. Auch der Import der lebensgefährlichen Droge Fentanyl explodiert, die von Dealern mittlerweile gerne mit anderen Drogen wie Heroin gemischt wird.
Das Weiße Haus besteht bei Pressekonferenzen gebetsmühlenhaft darauf, dass die Grenze der USA „sicher“ sei. Zudem plane man eine „umfassende Einwanderungsreform“. Diese zielt auf eine Amnestie und schnelle Wege zur Staatsbürgerschaft für alle illegalen Migranten. Mit dem positiven Nebenaspekt, dass sich so auch die Wählerbasis der Demokraten langfristig ausweitet. FRIEDEMANN DIEDERICHS