Ministerin im Luftschutzbunker

von Redaktion

VON JÖRG BLANK

Odessa – Es ist kurz vor 15.30 Uhr, als die Sirenen Luftalarm geben. Im Gebäude der Eisenbahndirektion Odessa lässt sich Christine Lambrecht (SPD) gerade von Olexij Resnikow die Lage im Abwehrkampf der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg erklären. Wenige Minuten später sitzt die Verteidigungsministerin mit ihrem Amtskollegen ein paar Stockwerke tiefer im Luftschutzbunker der Behörde. Es hat was von Museum: Im Vorraum liegen alte Gasmasken im Regal, die großen Warntafeln an den Wänden erinnern an Sowjetzeit und Kalten Krieg.

Doch es ist ein heißer, aktueller Krieg, in den sich Lambrecht am Wochenende für einen Tag hat fahren lassen. Schon in der Nacht zuvor gibt es in Odessa Luftalarm. Nach ukrainischen Angaben schlagen in einem Industriegebiet zwei russische Iskander-Raketen ein. Verletzt wird niemand.

Zu dieser Zeit besucht die Ministerin noch die kleine ukrainische Nachbarrepublik Moldau – vom geplanten Besuch in der Ukraine weiß die Öffentlichkeit in Deutschland da noch nichts. Aus Sicherheitsgründen bleibt die Stippvisite lange geheim.

Am Samstagmittag hat Lambrecht dann ihr hellbeiges Kostüm und die hohen Schuhe, mit denen sie in Moldau die Ehrengarde abgeschritten hat, gegen ein anderes Outfit getauscht. Als sie am Grenzübergang Palanca vom Konvoi der Gastgeber zu den Fahrzeugen der ukrainischen Seite wechselt, steht sie ganz in Schwarz gekleidet zwischen den Wagen. Oberteil, Hose, feste Schuhe – alles Ton in Ton. Soll ihr nur niemand wieder falsches Schuhwerk vorwerfen, mag die 57-Jährige gedacht haben. So wie im April, als manche sich mokierten, sie sei in Stöckelschuhen zum Truppenbesuch nach Mali gereist.

Zurück in den Luftschutzbunker. Resnikow nutzt die 45 Alarm-Minuten, um Lambrecht erneut den Wunsch nach mehr und moderneren Waffen vorzutragen. Die Russen hätten eine Rakete vom Typ Kalibr abgeschossen, höchstwahrscheinlich von einem Schiff aus, erklärt Resnikow der deutschen Kollegin den Grund für den Aufenthalt im Bunker. Deswegen brauche sein Land dringend moderne Anti-Schiffs-Raketen. Lambrecht entgegnet lediglich, die Situation mache deutlich, wie wichtig die rasche Lieferung einer ersten Einheit des bodengestützten Luftabwehrsystems Iris-T SLM sei. Das moderne System, über das noch nicht einmal die Bundeswehr verfügt, soll nach ihren Worten in wenigen Tagen geliefert werden. Direkt vom Hersteller. Am Sonntag teilt sie dann mit, dass Deutschland und weitere Länder die Lieferung von 16 Radpanzerhaubitzen aus slowakischer Produktion finanzieren.

Mitten in der Nacht wird Lambrecht dann wieder mit der harten Wirklichkeit des Krieges konfrontiert. Ein neuerlicher Luftalarm reißt sie aus dem Schlaf. Mit anderen Mitgliedern ihrer Delegation sucht sie um kurz vor 1 Uhr Schutz im Bunker ihres Hotels.

Nach ihrer Rückkehr am Sonntag sieht sich die Ministerin dann gezwungen, einen Querschläger aus dem eigenen Kabinett zu entschärfen. „Wir sind im Krieg mit Putin und nicht seine Psychotherapeuten. Es muss weiter konsequent der Sieg in Form der Befreiung der Ukraine verfolgt werden“, hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf Twitter geschrieben – und somit als erster Bundesminister davon gesprochen, dass sich nicht nur Russland und die Ukraine, sondern auch Deutschland selbst „im Krieg“ befinde. Lambrecht widerspricht ihrem Parteifreund deutlich: „Es ist ganz klar – sowohl für die deutsche Bundesregierung als auch für die gesamte Nato: Wir werden keine Kriegspartei.“

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