München – Braunschweig, Celle und Hannover liegen nicht so furchtbar weit auseinander, aber für Christian Lindner ist es trotzdem ein stressiger Freitag gewesen. Drei Termine in fünf Stunden, dazwischen rein ins Auto und zum nächsten Auftritt. Die Härten des Wahlkampfes kriegt der FDP-Chef und Bundesfinanzminister in diesen Tagen voll mit, aber was soll er machen? Jede Stimme zählt für die FDP bei der Landtagswahl in Niedersachsen. Wirklich jede.
Hauchdünn über fünf Prozent liegen die Liberalen in den Umfragen. Niedersachsen ist die vierte Wahl in diesem Jahr. Zweimal, in Schleswig-Holstein und NRW, büßte die FDP deutlich Stimmen ein, blieb aber im Landtag, einmal (Saarland) gewann sie hinzu, verpasste jedoch den Einzug. Ein erneutes Scheitern wäre für die Partei ein Debakel, eines mit Ansage.
Dass diese Wahl so sehr von der Bundespolitik geprägt wird, trifft die Liberalen hart. Die Berliner Ampelkoalition steht wegen ihres energiepolitischen Krisenmanagements in der Dauerkritik, und das bekommt vor allem das kleinste Mitglied schmerzhaft zu spüren. Die FDP, die eben nicht den Wirtschaftsminister stellt, kann ihre Positionen zu wenig durchsetzen, um die eigene Klientel zufriedenzustellen. So sehr Lindner und andere Parteigrößen seit Wochen für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten und sogar eine Reaktivierung stillgelegter Reaktoren trommeln, auch am Freitag wieder, so vergeblich ist ihr Bemühen. Der Kompromiss, zwei Meiler in Reserve und womöglich bis Ende April in Betrieb zu halten, ist nichts, womit man die Basis begeistert oder gar unentschlossene Wähler für sich einnimmt.
Weil die Grenze zwischen Kompromiss und Zerwürfnis in der Koalition zuweilen fließend ist, träumt die CDU ganz offen davon, die Wahl zu einer Abstimmung über die Krisenpolitik der Ampel zu machen. So sagte CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann der „Rheinischen Post“, ein Sieg seiner Partei wäre „ein Signal, dass sich die Zeit der Ampel bereits ihrem Ende entgegenneigt“. In die Karten spielt Althusmann dabei, dass der Energie-Krisengipfel von Bund und Ländern Anfang der Woche ohne Ergebnisse blieb – ausgerechnet unter dem Vorsitz des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil.
Auch wenn die jüngsten Umfragen keinen Anlass zu großem Optimismus boten, hofft CDU-Chef Friedrich Merz, dass seine Partei die Serie von Wahlerfolgen seit seinem Amtsantritt Ende Januar fortsetzen kann. Nachdem die Christdemokraten Ende März im Saarland aus der Regierung geflogen waren, konnten sie im Mai in Schleswig-Holstein und NRW die Ministerpräsidentenposten verteidigen. Auch für Merz bedeutete das Rückenwind für seinen Kurs der Erneuerung der Partei in der Opposition.
Ob er sich allerdings einen Gefallen getan hat, als er Ende September über einen angeblichen „Sozialtourismus“ von Ukraine-Flüchtlingen in Deutschland räsonierte, dürfte sich erst am Wahlabend in den Analysen zeigen. Zwar entschuldigte sich Merz am Morgen danach. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass er damit Anhänger von SPD und Grünen beeindruckt hat, die die CDU wohl für einen Wahlsieg bräuchte.
Die Wahl findet also unter dem massiven Einfluss des bundespolitischen Krisenmanagements statt, aber auch umgekehrt waren die Auswirkungen spürbar. Der Termin in Niedersachsen warf einen langen Schatten nach Berlin. Wichtige Entscheidungen wurden hinausgeschoben, und ob Finanzminister Lindner auch nach dem 9. Oktober noch eisern an der Schuldenbremse festhalten wird, bleibt abzuwarten. Immerhin, weitere Verzögerungen mit Rücksicht auf landespolitische Wahlkämpfer sind so schnell nicht zu erwarten. Erst im Mai wird wieder gewählt, dann in Bremen. mit dpa