Moskau/Kiew – Eine gewaltige Explosion, lodernde Waggons und ins Meer gestürzte Teile der Krim-Brücke haben Kremlchef Wladimir Putin am Tag nach seinem 70. Geburtstag ein böses Erwachen beschert. Rasend schnell verbreiteten sich am Samstagmorgen Videos von den in Flammen stehenden Treibstoffwaggons eines Güterzugs im Sonnenaufgang über der symbolträchtigen Brücke. Von drei Toten war die Rede. Putins Herzensprojekt, die von ihm selbst eröffnete 19 Kilometer lange Verbindung zwischen Russland und der 2014 annektierten Halbinsel, ist schwer getroffen.
Zunächst sah es so aus, als ob die auch für die Versorgung russischer Truppen wichtige Lebensader von Russland zur annektierten Krim zerstört ist. Für die Front im Süden der Ukraine hätte das entscheidende Auswirkungen. Doch nach einigen Stunden war klar, dass der Schaden wohl repariert werden kann. Nach russischen Angaben läuft der Zugverkehr seit gestern wieder.
Doch nach einer Vielzahl an Niederlagen ist das Entsetzen in Russland über das neue Debakel trotzdem groß. Dagegen feiert die Ukraine den Anschlag auf die Brücke als neuen Triumph – ähnlich wie den Untergang des russischen Kriegsschiffs „Moskwa“ im Frühjahr. „Zu diesem Feiertag bringen wir eine neue Marke heraus mit der Krim-Brücke – oder vielmehr mit dem, was von ihr übrig ist“, kündigte der Chef der Post an. Der Sekretär des Sicherheitsrats kombinierte Aufnahmen des teils zerstörten Bauwerks mit einem Video, in dem Hollywood-Legende Marilyn Monroe das Geburtstagsständchen „Happy Birthday, Mr. President“ singt.
Russlands Ermittler erklärten, ein mit Hunderten Kilogramm Sprengstoff beladener Lastwagen sei auf der Brücke explodiert. Der Feuerball soll auf der Bahnstrecke neben der Fahrbahn mehrere Kesselwagen mit Diesel in Brand gesetzt haben. Teile der Straße stürzten ins Meer. Diskussionen gab es daraufhin unter Experten, wie ein Sprengsatz in einem Lastwagen gleich an verschiedenen Stellen über eine Strecke von mehr als einem Kilometer solch schwere Schäden anrichten kann.
Im ukrainischen Fernsehen meinte der nach Kiew geflohene frühere russische Parlamentsabgeordnete Ilja Ponomarjow, es könne sich um eine mehrteilige Spezialoperation gehandelt haben. Ponomarjow hatte schon im August nach dem Autobomben-Attentat auf die Kriegsbefürworterin Darja Dugina von einer Untergrundorganisation proukrainischer Partisanen gesprochen, die angeblich gezielt Anschläge verübe.
Der Kreml schloss sich den Spekulationen an, es gebe eine ukrainische Spur. Bei der Vorbereitung des Terroranschlags hätten russische Bürger und ausländische Staaten mitgeholfen, hieß es. Aus der Ukraine kommen widersprüchliche Signale. Der Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, schrieb zunächst, das sei nur der Anfang. Wenig später streute er die Version, russische Einheiten selbst könnten es gewesen sein, um einen von Hardlinern befeuerten Machtkampf zwischen Verteidigungsministerium und Inlandsgeheimdienst FSB auf offener Bühne auszutragen. Dabei berichteten selbst ukrainische Medien stolz unter Berufung auf Sicherheitskreise, der eigene Geheimdienst SBU habe in einer Spezialoperation einen neuen Coup gelandet. Der SBU selbst würdigte den Anschlag mit einem Gedicht.
Der russische Präsident Putin setzte eine Untersuchungskommission ein und wies eine strengere Bewachung der Brücke an. Der Kreml hat für heute eine Sitzung Putins mit dem russischen nationalen Sicherheitsrat angekündigt. Dort könnte eine Reaktion auf den Anschlag besprochen werden.
Der Machtapparat versuchte unterdessen, die zehntausenden russischen Touristen auf der Ferienhalbinsel nicht in Panik zu versetzen. Es sei für alles gesorgt, sagte Krim-Chef Sergej Aksjonow. Er meinte, die Urlauber sollten auf Staatskosten länger bleiben dürfen.