Berlin/Erding – Alarm: Wir sind voll. Immer mehr Orte, oft ganze Bundesländer, wollen oder können keine neuen Flüchtlinge mehr aufnehmen. Vereinzelt sind schon Turnhallen freigeräumt, Konflikte nehmen zu. Nun verspricht der Bund Linderung. Zu den derzeit angebotenen 300 Immobilien mit 64 000 Plätzen wolle der Bund weitere 56 Bauten mit 4000 Plätzen zur Verfügung stellen, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Faeser will auch die Kontrollen an der Grenze zwischen Bayern und Österreich über November hinaus verlängern. Zudem kündigt sie Gespräche auf EU-Ebene an. Es geht um das altbekannte Thema: Wie kann man Asylsuchende zurückbringen, für die laut Dublin-Verordnung ein anderes EU-Land zuständig wäre? Auch über einen stärkeren Einsatz von Frontex will Faeser reden.
Das sind Ergebnisse eines Treffens mit Vertretern von Bund und Kommunen in Berlin. Reicht das, um im Herbst neue Höchstzahlen bei der Migration zu verhindern? Heuer haben bis September nach Angaben des Bundes 135 000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt, knapp 35 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Das sind weniger als 2015/16. Allerdings mussten eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht werden, die ohne Visum einreisen.
Der Vizepräsident des Deutschen Städtetags, Leipzigs OB Burkhard Jung, sagte, die Situation sei mancherorts sehr kritisch, vergleichbar mit der Flüchtlingskrise 2015 und 2016. In Leipzig seien bereits Zeltstädte errichtet worden. Auch in Oberbayern ist so etwas Thema. Der Dachauer Landrat Stefan Löwl brachte auch den Wiederaufbau einer Traglufthalle ins Spiel. Und unter anderem in Miesbach sind weiterhin die Turnhallen von Gymnasium und Berufsschule mit Flüchtlingen belegt.
Vor allem aus Bayern kommen Zweifel am Resultat des Gipfels. Derzeit würden „alte Fluchtrouten reaktiviert“, warnt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt mit Blick auf den Balkan. Es sei „Faesers Aufgabe“, das zu unterbrechen. Er rügte, es gebe „Pull-Effekte“, wenn auch abgelehnte Asylbewerber nach drei Jahren im Land bleiben dürften – alleine die Asylverfahren dauerten meist bis zu zweieinhalb Jahre. Ein Anreiz für mehr Migration?
Finanzielle Zusagen machte der Gipfel zudem nicht. Wie sich der Bund an den Flüchtlingskosten beteiligen will, soll eine Bund-Länder-Runde Anfang November beraten. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Joachim Herrmann (CSU), forderte eine hohe einstellige Milliardensumme vom Bund.
Herrmann begrüßt die Verlängerung der Grenzkontrollen, die Union fordert das auch Richtung Tschechien. Am Montag hatte noch die bayerische Grünen-Politikerin Katharina Schulze Faeser aufgefordert, die Grenzkontrollen zu Österreich zu streichen. Sie bekräftigte, der aktuelle Beschluss sei europarechtswidrig und „falsch“.
Unterdessen legt sich der Bund darauf fest, trotz stark steigender Zahlen den Warteraum Asyl im Erdinger Fliegerhorst nicht zu reaktivieren, sondern vollständig zurückzubauen. Dies teilen das Bundesinnen- und das Verteidigungsministerium auf Anfrage unserer Zeitung mit. Durch das Staatliche Bauamt Freising seien die Rückbauarbeiten beauftragt, Start Juni 2023. Die Sanitär- sowie die Bürocontainer seien schon zurückgegeben, die Möbel abtransportiert. Ebenso gebe es die Schlafabteile nicht mehr, und die Wasserleitung sei abgestellt. Der Warteraum Asyl war im Herbst 2015 entstanden. Hunderttausende Flüchtlinge wurden von hier bis 2018 auf das gesamte Bundesgebiet verteilt.