München/Berlin – Zu den auf den ersten Blick überraschenderen Meldungen dieser Woche gehört, dass sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) um die Zukunft zweier Atomkraftwerke sorgt. Und dass er ausgerechnet der FDP anlastet, deren Weiterbetrieb zu gefährden. Doch was zunächst nach Rollentausch klingt, ist ein knallharter Machtkampf zwischen Habeck und FDP-Finanzminister Christian Lindner.
Schon im Streit um die Uniper-Rettung und die Gasumlage waren die beiden selbstbewussten Minister aneinandergerasselt. Nun aber geht es richtig ans Eingemachte. Denn für die traditionell kernkraftskeptischen Grünen steht bei der Atom-Frage ihre Glaubwürdigkeit an der eigenen Basis auf dem Spiel. Und für die atomfreundlichen Liberalen geht es nach dem neuesten Wahldebakel in Niedersachsen um nicht weniger. Im Raum steht die Befürchtung, FDP-Chef Lindner opfere letzten Endes die Partei, indem er sie eine mehrheitlich linke Regierungspolitik von SPD und Grünen mittragen lasse. „Die Ampel-Koalition ist politische Vergewaltigung der FDP“, bringt der ehemalige Staatssekretär Thomas Sattelberger diese Position auf den Punkt.
Doch wieso ist es nun Habeck, der mit Blick auf die geplante Atomkraft-Reserve warnt, dass „die Zeit drängt“? Ganz einfach: Weil Lindner und die FDP mehr wollen als den vom grünen Minister in Aussicht gestellten Streckbetrieb der Atomkraftwerke Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg bis Mitte April. Stattdessen drängen die Liberalen auf einen Weiterbetrieb aller drei verbliebenen Atomkraftwerke bis ins Jahr 2024 mit neuen Brennstäben, um die Energienot zu bekämpfen.
Neu ist das nicht. Der Streit schwelt seit Monaten. Doch weil die FDP Habecks zögerlichen AKW-Plan nun offenbar nicht mittragen will, eskaliert der Disput. Die SPD warnt die Liberalen, nicht zu überreizen. Und Habeck droht indirekt, wenn man sich nicht schnell einige, komme es nicht einmal zum Streckbetrieb. Da noch Reparaturen nötig seien, stehe man am Ende womöglich „ohne Isar 2 da“, warnt der Minister. Dem „Spiegel“ sagt er: „Wenn man will, dass die Atomkraftwerke nach dem 31. Dezember noch Strom produzieren können, muss man jetzt den Weg dafür frei machen.“ Das sei „eine Frage der Technik, nicht der Politik“.
Ein Spitzengespräch zwischen Kanzler Olaf Scholz (SPD), Habeck und Lindner bringt am Dienstag kein Ergebnis. Aus Kreisen des Lindner-Finanzministeriums heißt es zu unserer Zeitung, man hoffe auf Lösungsmöglichkeiten, wenn der Grünen-Parteitag am Wochenende beendet sei. „Die Lage ist zu ernst, als dass die Energieversorgung Gegenstand von Parteipolitik sein sollte.“
Deutliche Worte an die Grünen kommen auch aus Bayern. Seit Monaten halte Habeck das Land hin, sagt Martin Hagen, FDP-Chef im Freistaat, unserer Zeitung. „Erst soll eine Laufzeitverlängerung weder möglich noch notwendig sein, dann schlägt er eine halbgare Notreserve vor und jetzt den Streckbetrieb für zwei von drei Kernkraftwerken.“ Es scheine, als habe der Bundeswirtschaftsminister den Ernst der Lage nicht verstanden, sagt Hagen.
Andere versuchen, Druck rauszunehmen. Der AKW-Weiterbetrieb sei nicht gefährdet, sagt FDP-Bundes-Vize Johannes Vogel. Der schnellstmögliche Zeitplanvorschlag des Wirtschaftsministeriums sehe einen Beschluss im Bundestag in der kommenden Woche vor. „Dazu sind die Koalitionsfraktionen bis Anfang kommender Woche jederzeit handlungsfähig und in der Lage.“ Jedenfalls, wenn sie sich bis dahin einigen. SEBASTIAN HORSCH