Putins „General Armageddon“

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Man sollte sich von Spitznamen nicht beeindrucken lassen, aber dieser ist in seiner comichaften Schauerlichkeit einzigartig: General Armageddon, so nennt man Sergej Surowikin angeblich in der russischen Armee. Seine Härte und Skrupellosigkeit seien legendär, heißt es. Er sei brutal und kompetent. Surowikin ist, folgt man diesen Attributen, ein Mann für verzweifelte Lagen.

Seit Samstag ist der 56-Jährige Kommandeur aller russischen Streitkräfte in der Ukraine, also jener Truppen, die dem Kreml zuletzt wenig Freude gemacht haben. Im Osten und teils im Süden des Landes ließen sie sich von listenreichen Manövern der Ukrainer zurückdrängen, Kreml-Chef Wladimir Putin muss inzwischen sogar um die Gebiete fürchten, die er völkerrechtswidrig annektieren ließ. Der Mann mit dem martialischen Spitznamen soll nun die Wende bringen.

Surowikin hat eine Vorgeschichte, die man als ruchlos bezeichnen kann. Er kämpfte in Afghanistan und Tschetschenien und führte gleich zwei Mal – 2017 und 2019 – den russischen Einsatz in Syrien an. Dort ließ er wahllos Städte bombardieren, um die Zivilbevölkerung zu zermürben. In den jüngsten Raketenangriffen auf Kiew und andere ukrainische Städte, bei denen laut ukrainischen Behörden mindestens 19 Menschen starben und mehr als 100 verletzt wurden, sehen manche deshalb schon Surowikins Handschrift.

In Russland kennt man den Namen vor allem wegen eines Vorfalls im Jahr 1991 im Moskau. Bei einem Putschversuch überfuhren Soldaten unter Surowikins Kommando drei Demonstranten mit Schützenpanzern. Er saß für sechs Monate ein, kam dann aber mit der Begründung frei, er habe nur Befehle befolgt. Vier Jahre später wurde der General wegen illegalen Waffenhandels zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der „Guardian“ zitierte zuletzt eine prägnante Einschätzung des britischen Geheimdienstes: „Seit mehr als 30 Jahren ist Surowikins Karriere von Korruptions- und Brutalitätsvorwürfen geprägt.“

Seiner Karriere hat all das nicht geschadet, im Gegenteil. Putin verlieh ihm sogar die Auszeichnung „Held Russlands“. Er wurde Chef der russischen Luftwaffe, zuletzt befehligte er die Truppen im Süden der Ukraine.

Nun steht Surowikin an der Spitze aller russischen Streitkräfte im Nachbarland. Putin hat sich damit im Inneren ein wenig Luft verschafft, denn jene nationalistischen Hardliner, die die Kriegsführung des Kremls zuletzt offen und scharf kritisierten, halten den Neuen für eine exzellente Wahl. Tschetschenen-Anführer Ramsan Kadyrow, der als „Putins Bluthund“ zumindest spitznamenstechnisch mithalten kann, pries Surowikin als „einen echten Krieger“, für den „Begriffe wie Patriotismus, Ehre und Würde immer an erster Stelle stehen“. Jewgenij Prigoschin, Gründer der berüchtigten Söldner-Truppe Wagner, nannte ihn den „fähigsten Kommandeur der russischen Armee“.

Man kann aus solchen Äußerungen auch Zweckoptimismus lesen, denn ob Surowikin wirklich in der Lage ist, das russische Kriegsgeschick zu drehen, ist höchst fraglich. „Die militärische Misere Russlands lässt sich nicht durch einen Wechsel des Befehlshabers beheben“, sagte der US-Analyst Michael Kofman dem „Spiegel“. Ohnehin sei Surowikin de facto längst Befehlshaber der meisten russischen Streitkräfte gewesen.

Tatsächlich sind die Probleme der Kreml-Truppen vielfältig: von den behäbigen Reaktionen auf ukrainische Vorstöße über Versorgungsengpässe bis zur chaotischen Teil-Mobilmachung. Ähnlich sieht es auch der britische Geheimdienst GCHQ. Surowikins Ernennung sei der Versuch, die russischen Angriffe zu verbessern, aber auch er stehe vor einer Armee, die zu schlecht für diese Aufgabe ausgerüstet sei. „Wir wissen, und das wissen auch russische Kommandeure im Krieg, dass ihnen die Ausrüstung und Munition ausgeht“, sagte Geheimdienst-Chef Jeremy Fleming.

Am Dienstag war das noch nicht zu spüren. Erneut beschossen russische Truppen ukrainische Städte mit Raketen, ganz nach dem Geschmack des neuen Kommandanten also. „Surowikin ist absolut unbarmherzig und hat wenig Achtung vor menschlichem Leben“, sagte ein ehemaliger Beamter des Verteidigungsministeriums dem britischen „Guardian“. „Ich fürchte, seine Hände werden in ukrainischem Blut baden.“

Artikel 2 von 11