Hochdruck im grünen Kessel

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Bonn/München – Wenn sie bei den Grünen an Bielefeld zurückdenken, ist das kein gutes Zeichen. Mai 1999, ein Parteitag, der eskalierte und in die Geschichte einging. Unter dem Eindruck des ersten Kriegseinsatzes der Bundeswehr im Kosovo prallten die Delegierten heftig aufeinander. Verbal. Körperlich. Den damals neuen Außenminister Joschka Fischer trafen „Kriegstreiber“-Rufe und ein roter Farbbeutel. Stinkbomben flogen, und vor der Halle brauchte es 400 Polizisten, um Gegendemonstranten in Schach zu halten. Die „taz“, ideologisch nicht unbedingt Feindesland, titelte drastisch: „Bodenkrieg in Bielefeld“.

Lang her, aber nicht fern: Wie sich damals die junge rot-grüne Regierung plötzlich mitten im Krieg wiederfand, innerlich zerrissen zwischen Pazifismus und der Realität, ethnische Säuberungen stoppen zu wollen – das erinnert an heute. Wieder eine neue Regierung, rot-grün-gelb diesmal, wieder ein Krieg, in den Deutschland durch Waffenlieferungen und Sanktionen zumindest indirekt eingreift; und wieder Parteitag, ab morgen 800 Delegierte in Bonn.

Die Weltlage mutet den Grünen Extremes zu. Dass eine Regierung mit grüner Außenministerin und grünem Vizekanzler Waffensysteme, Munition, gepanzerte Fahrzeuge für einen Krieg in Europa liefert, schien undenkbar. Inzwischen gibt es sogar Grüne, die – wie der Bayer Anton Hofreiter – noch viel mehr fordern, nämlich schwere Panzer für die Ukraine. Das ist heikel in einer Partei, die starke Wurzeln in der Friedensbewegung hat; und die ihre internen Flügel-Konflikte leidenschaftlich austrägt. Hinzu kommt, dass es für die Basis in der Corona-Zeit weniger Ventile gab, Dampf abzulassen. Der letzte reguläre Parteitag in Voll-Präsenz war im November 2019.

Der große Ukraine-Aufstand der Basis gegen die Realos in der Regierung, vor allem die Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock, steht nicht an, sagen Delegierte. Doch Ärger gab es im Vorfeld an anderer Stelle: Führende Köpfe lehnen sich gegen die Waffenexporte nach Saudi-Arabien auf. Über europäische Rüstungsprojekte – da gilt das Exportverbot nicht – sind den Saudis Ausrüstungsteile und Bewaffnung für die Kampfflugzeuge Eurofighter und Tornado zugesagt, gut 36 Millionen Euro schwer. Habeck wie Baerbock nickten das in der Regierung ab. Ein großes Bündnis von Realos bis Parteilinken hat nun einen Antrag dagegen unterzeichnet, erinnert an „massive Menschenrechtsverletzungen“ der Saudis. Allein aus Bayern haben Hofreiter, Dieter Janecek oder Landesgruppen-Chefin Jamila Schäfer unterschrieben.

Hinter den Kulissen wird versucht, eine Kampfabstimmung zu vermeiden. Vermutlich wird es bei kritischen Reden bleiben, heißt es. Baerbock habe sich in Videokonferenzen vermittelnd eingeschaltet, berichtet der „Spiegel“. Sie wird am Samstag auftreten. Habeck schaute derweil darauf, vor dem Parteitag keine größeren Zugeständnisse bei den AKW-Laufzeiten zu machen. Und Bundesgeschäftsführerin Emily Büning bemüht sich, Emotionen zu dämpfen. „Die Menschen fragen sich, wie wir durch den Herbst und den Winter kommen und wollen Antworten von der Politik.“ Sie warnt, man möge sich „anders als die CDU“ auf Parteitagen „nicht vorrangig mit uns selbst beschäftigen“.

Fliegen also Farbbeutel, oder nur böse Worte? Joschka Fischer, die zentrale Figur von 1999, rät seinen Grünen heute zu einem pragmatischen Ansatz. „Wenn Sie in die Regierung gehen – als Minister, als Fraktion, als Partei – dann sind Sie nicht mehr an erster Stelle dem Parteiprogramm verpflichtet, sondern dem Land“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. „Ich wünsche meiner Partei, dass das der Leitgedanke wird. Im Klartext: Was für ein Glück, dass die Grünen jetzt in der Regierung sind.“

Fischer warnt vor Kritik an den eigenen Ministern: „Unsere Leute dort machen eine sehr gute Arbeit. Uns sollte immer bewusst sein: Dass Putin Europa mit der Gas-Waffe erpresst, schafft eine ganz neue Situation für uns. Dem müssen wir gerecht werden.“

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