AKW-Streit: Grüne ziehen rote Linie

von Redaktion

VON A.CLASMANN, M. HERZOG UND M. BENNINGHOFF

Bonn – Mit einem Bekenntnis zu realpolitischen Zwängen und Verantwortungsbewusstsein haben die Grünen ihren Bundesparteitag in Bonn begonnen. „Wir machen Politik für die Realität, die da ist“, betonte die Parteivorsitzende Ricarda Lang. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sagte sie: „Ich bin davon überzeugt, dass wir mehr Waffen liefern müssen, dass wir schneller werden müssen – die Zeit der Zögerlichkeit ist vorbei.“ Wer deshalb die Rolle der Grünen als Friedenspartei infrage gestellt sehe, müsse wissen, der einzige Kriegstreiber in diesem Konflikt sei Wladimir Putin. Langs Rede wurde immer wieder von Applaus unterbrochen, am Ende würdigten viele Delegierte sie stehend mit Ovationen – Lang reagierte gerührt.

Der dreitägige Bundesparteitag mit rund 800 Delegierten ist das erste Vor-Ort-Treffen der Grünen seit Beginn der Corona-Pandemie. Überschattet wurde das Treffen der Partei, die tief in der Anti-Atom-Bewegung verwurzelt ist, vom Koalitionsstreit um die Restlaufzeit der letzten drei Atommeiler. Am späten Freitagabend stimmten die Delegierten dafür, dass es maximal einen Streckbetrieb zweier süddeutscher AKWs bis 15. April geben solle.

Die Entscheidung hatte sich abgezeichnet. Die Parteispitze hatte bereits vor Beginn klargemacht, dass sie zu keinen großen inhaltlichen Kompromissen mehr bereit ist. „Um die klare Linie zu ziehen, zu sagen, wir werden keine neuen Brennelemente kaufen, wird das dieser Parteitag auch beschließen“, sagte Langs Co-Parteichef Omid Nouripour. Und: Das Ergebnis der Abstimmung zu diesem Thema sei für die anstehenden Gespräche mit SPD und FDP bindend. „Warum sollen wir sie sonst beschließen?“

Steffi Lemke, die Bundesumweltministerin, rief ihre Partei ebenfalls zu Härte beim AKW-Thema auf. „Ich erwarte eine intensive Debatte und eine Klarstellung, dass eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten und die Neubeschaffung von Brennelementen nicht unterstützt wird“, sagte Lemke unserer Zeitung. Die Atomkraftnutzung bleibe „eine Hochrisikotechnologie“, Deutschland steige aus guten Gründen aus. „In der Ukraine sind mehrere hundert Kilometer von uns entfernt Atomkraftwerke zum Kriegsziel geworden, und wir erleben Sabotageakte auf die Energieinfrastruktur in Europa. In einer solchen Situation in Deutschland neu in die Atomkraft einzusteigen, halte ich für unverantwortlich.“

Und Lang hatte dem „Spiegel“ zuvor gesagt, die Beschaffung neuer Brennstäbe für einen längeren Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke sei eine „rote Linie“. eine Aussage, die am Freitag prompt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf den Plan rief. Es sei nicht hilfreich, wenn die Grünen die Neubeschaffung von Brennstäben als „rote Linie“ bezeichneten, sagte Lindner dem Fernsehsender Welt. Es dürfe in der Frage der Energiesicherheit „nicht um Parteipolitik“ gehen. „Ich kann für mich nur sagen: Wenn es darum geht, Schaden von unserem Land abzuwenden, die ruinös hohen Energiepreise zu reduzieren, Blackouts zu verhindern – dann gibt es für mich keine roten Linien.“

Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zog auf dem Parteitag ungeachtet des aktuellen Koalitionsstreits eine positive Bilanz der Arbeit in der „Ampel“. Die Grünen hätten gezeigt, dass sie zurecht in der Verantwortung stünden und nicht zauderten. „Es lohnt sich, in der Regierung zu sein“, sagte der Vizekanzler und nannte unter anderem Mindestlohnanstieg und Bürgergeld, aber auch den um acht Jahre vorgezogenen Kohleausstieg. Fossile Energien und die Atomkraft hätten uns „diese Energienot beschert, sie sind nicht die Lösung des Problems, sondern die Ursache“, sagte Habeck.

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