Berlin – Das Schreiben ist kurz und nüchtern – Emotionen gab es ja auch schon genug in der ganzen Diskussion. In ein paar Sätzen an die zuständigen Minister erklärt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), er habe entschieden, dass die drei verbleibenden deutschen Atomkraftwerke – Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland – bis zum 15. April 2023 am Netz bleiben dürften. Was da nicht steht, aber als Unterton deutlich mitschwingt: Basta.
Dass ein Kanzler, wie jetzt, seine Richtlinienkompetenz nutzt, ist selten. Scholz setzt damit jenem Streit um AKW-Laufzeiten ein Ende, der vor allem zwischen seinen beiden Ampel-Partnern tobte und die Koalition zuletzt lähmte. Für Grüne und FDP, die sich in ihren Positionen eingemauert hatten, ist das Kanzler-Machtwort ein Ausweg. Andererseits sagt es auch viel über den Zustand der Koalition.
Vor allem die Grünen schienen am Montagabend überrumpelt zu sein. „Wir nehmen zur Kenntnis, dass Bundeskanzler Olaf Scholz seine Richtlinienkompetenz ausübt“, erklärten die Chefinnen der Bundestagsfraktion, Katharina Dröge und Britta Haßelmann. Die Fraktion wolle beraten, wie sie damit umgehe. Co-Parteichefin Ricarda Lang sagte: „Das AKW Emsland ist für die Netzstabilität nicht erforderlich“, der Weiterbetrieb sei nicht notwendig. Immerhin sei nun klar, dass keine neuen Brennstäbe beschafft würden. Umweltministerin Steffi Lemke twitterte: „Jetzt herrscht Klarheit: Es bleibt beim Atomausstieg.“
Erst am Wochenende hatten die Grünen auf ihrem Parteitag beschlossen, einen Streckbetrieb für Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg bis Mitte April 2023 mitzutragen. Der vereinbarte Atomausstieg sieht eigentlich ein Betriebsende für alle AKW zum Jahreswechsel vor. Die FDP wollte indes auch das Atomkraftwerk Emsland in Niedersachsen am Netz halten und alle drei bis 2024 laufen lassen.
Scholz Entscheidung liegt also irgendwo in der Mitte. Finanzminister Christian Lindner (FDP) begrüßte sie. „Es ist im vitalen Interesse unseres Landes und seiner Wirtschaft, dass wir in diesem Winter alle Kapazitäten der Energieerzeugung erhalten. Der Bundeskanzler hat nun Klarheit geschaffen.“ Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dem nach dem Parteitag die Hände für Kompromisse gebunden waren, ist Scholz’ Ansage recht: Die Entscheidung sei „ein Weg, mit dem ich gut arbeiten und leben kann“, sagte er in den ARD-Tagesthemen.
Die Opposition sieht das naturgemäß völlig anders: Die Entscheidung des Kanzlers greife zu kurz, sagte CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz der „Welt“. „Die deutschen Atomkraftwerke müssen – wie es die FDP gefordert hat – bis 2024 mit neuen Brennstäben weiterlaufen.“ Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder zeigte sich enttäuscht. „Ist das alles?“, twitterte er. „Das ist zwar eine Lösung im Ampelstreit, aber nicht für das Stromproblem in Deutschland.“ Das Problem sei nur vertragt. CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer sprach von einem „Machtwörtchen“. Die drei AKW müssten laufen, bis sie nicht mehr gebraucht würden.
Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, meinte derweil: „Kluger Kompromiss zur Versorgungssicherheit.“ mmä/dpa