„Özdemir verschläft die Zeitenwende“

von Redaktion

Der Krieg in der Ukraine verändert den Blick auf die Landwirte. Wo liegen in Bayerns Agrarflächen Potenziale, um die Energiekrise zu lindern? Biogas statt Putin-Gas? Solaracker statt Sojafeld? Im Interview spricht Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) über die Chancen und Risiken. Die 45-Jährige aus Bad Reichenhall ist seit März 2018 im Amt.

Ganz Deutschland diskutiert über die Atomenergie, aber Deutschland lässt gewaltige Chancen auch beim Biogas verstreichen, das rund 6 Prozent zur deutschen Stromerzeugung beisteuert. Kann Biogas Putin-Gas ersetzen?

Um Gottes willen – in dieser Dimension auf keinen Fall. Biogas ist ein wichtiges Mosaikstück in unserem Strommix und kann einen Beitrag dazu leisten, Stromlücken zu schließen. Und das kurzfristig, weil man es sehr gut speichern kann. Zudem ist es grundlastfähig. Aber für einen derartigen Ausbau müsste man so viel Flächen vorhalten, dass es unweigerlich zu Zielkonflikten käme. Und das ist weder sinnvoll noch gewünscht. Immerhin geht die zuverlässige Lebensmittelbereitstellung vor.

Die alte Debatte: Teller oder Tank?

Teller, Tank und Trog.

Was hat Vorrang?

Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Bauern alles drei können. Denken wir an Biokraftstoffe: Raps ist super geeignet für Biodiesel. Aus 100 Kilo werden 60 Kilo sehr eiweißreiches Futtermittel. Die anderen 40 Kilo sind gepresstes Öl. Dadurch sparen wir uns Soja-Importe, für die oftmals Regenwald gerodet wurde. Diese Koppelprodukte sind wichtig in der Landwirtschaft. Die frühere Grünen-Ministerin Künast hat mal prophezeit, Deutschlands Bauern würden die „Ölscheichs der Zukunft“. Die Realität ist: In Berlin wird noch nicht mal verstanden, dass wir von den Vorgaben wegmüssen, so viele Flächen wie möglich stillzulegen. Wir müssen sie sinnvoll und nachhaltig bewirtschaften.

Zurück zum Biogas: Welche Steigerung wäre drin?

Wir nutzen aktuell elf Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Bayern für Biogas. Das sind 335 000 Hektar. Es ginge mehr, wenn die politischen Rahmenbedingungen in Berlin richtig gesetzt werden würden und sich die Bauernschaft unternehmerisch dafür entscheidet. Nötig wären aus Berlin dann schnelle Verbesserungen beim Erneuerbare Energien-Gesetz. Für eine Einspeisung von Biomethan in Erdgasqualität ins reguläre Gasnetz bräuchte es technische Einrichtungen zur Reinigung und zur Verdichtung. Bisher produzieren die meisten der rund 2700 Anlagen in Bayern Strom und Wärme und liegen nicht in der Nähe des Erdgasnetzes.

Konservativ geschätzt…

…könnte Biogas ein Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs abdecken.

Biogas wäre Ihnen dennoch lieber als Zubau von Agrarflächen mit Photovoltaik und Windrädern?

Ich bin total empfindlich bei den bodennahen PV-Anlagen. Die Photovoltaik ist gut und richtig, am liebsten aber auf dem Dach oder neben der Autobahn, nicht auf dem Acker. Ich verstehe die einzelnen Bauern, die Flächen verpachten, weil die Pachtpreise für PV-Flächen stark gestiegen sind: 7500 Euro pro Hektar und mehr. Wir müssen aber auch weiterhin unsere Ernährungssouveränität im Auge behalten.

Sie könnten ja in den Staatsforsten Windkraft zubauen. Warum zögern Sie da so?

Die Staatsforsten zögern nicht. Sie haben sich mit der bisher geltenden 10H-Regel mit dem Ausbau schwergetan. Eine Regel übrigens, mit der die Bevölkerung geschützt werden sollte. Neue Zeiten erfordern aber neue Lösungen. Daher haben wir 10H angepasst. Unser Ziel ist: 100 Windkraftanlagen in den kommenden zwei Jahren im Staatswald zu initiieren. Da sind wir sehr, sehr gut unterwegs: Den Staatsforsten und interessierten Kommunen rennen Investoren die Türen ein.

Wir hören, dass Landwirte sich für den Fall eines Stromausfalls massiv Sorgen machen, etwa weil Melkmaschinen ausfallen. Ein reales Problem?

Ja. Einige Landwirte haben PV-Anlagen und Notstromaggregate. Das kann aber nicht jeder stemmen. Ich fürchte, in Berlin wurde nicht verstanden: Es geht um Lebensmittel. Es geht um Versorgungssicherheit. Es geht um Tierwohl. Es darf uns auf keinen Fall passieren, dass zum Beispiel Melktechnik ausfällt. Bei einem Gas-Notstand bekämen die Bauern sofort zu spüren, wie egal sie den Grünen in Berlin sind. Wir fordern immer wieder, Landwirte und die Ernährungswirtschaft in einer Gasmangellage als geschützte Verbraucher vorrangig zu versorgen. Das Özdemir-Agrarministerium in Berlin verschläft die von Scholz erklärte Zeitenwende.

Interview: geo/cd/ms/cm/sco

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