Grüne tragen AKW-Entscheid mit

von Redaktion

München – Manche Sätze holen einen schneller ein als erwartet. Vor zwei Monaten saß der Kanzler in der Sommerpressekonferenz und wurde nach einem Ding gefragt, das viele schon vergessen hatten: der Richtlinienkompetenz, die es dem Kanzler erlaubt, auch mal durchzugreifen. Es sei gut, dass er sie habe, sagte Scholz damals. „Aber natürlich nicht in der Form, dass ich jemandem einen Brief schreibe: Bitte, Herr Minister, machen Sie das Folgende.“

Manche werden daran gedacht haben, als Scholz am Montagabend genau das Gegenteil tat. Der Brief, mit dem er dem leidigen AKW-Streit zwischen FDP und Grünen – vor allem zwischen Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck – ein Ende setzte, sorgte gerade bei den Grünen für ungute Gefühle. Die ringen sich nun aber offenbar durch, einer verlängerten Laufzeit der drei verbliebenen deutschen AKW bis Mitte April 2023 zuzustimmen.

Grünen-Parteichefin Ricarda Lang sagte am Dienstag in Berlin: „Der Kanzler hat sich jetzt entschieden, Gebrauch von seiner Richtlinienkompetenz zu machen – wir werden diesen Weg als Partei mitgehen.“ Auch Habeck warb für die Entscheidung des Kanzlers – und gestand ein, dass die Uneinigkeit in der Koalition kein Glanzstück gewesen sei. Ebenfalls Zustimmung kam vom anderen Koalitionspartner FDP.

Die Liberalen hatten sich für einen längeren vorläufigen Weiterbetrieb aller drei Atomkraftwerke ausgesprochen. Die Grünen wollten nur die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis Mitte April als „Ersatzreserve“ behalten.

Erwartet wurde, dass das Kabinett an diesem Mittwoch einem neuen Entwurf zur Änderung des Atomgesetzes zustimmt. Bei den Grünen ist vor allem der befristete Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Emsland umstritten. „Unsere Haltung zum Atomkraftwerk Emsland ist klar: Es wird nicht gebraucht für Netzstabilität, der Weiterbetrieb macht deshalb fachlich wenig Sinn“, sagte Lang.

Ähnlich äußerte sich die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. Die Fraktionsführung werde aber empfehlen, dem „Vorschlag“ von Scholz zu folgen. Lang sagte, die Ampel übernehme Verantwortung für die Energiesicherheit und die Netzstabilität in diesem Winter. Klar sei auch: „Der Atomausstieg kommt. Es werden keine neuen Brennstäbe besorgt. Alle verbleibenden drei deutschen AKW werden spätestens zum 15 April 2023 vom Netz gehen.“ Das betonte auch Kanzler Scholz.

Andere Grüne kritisierten Scholz’ Entscheidung. „Das ist Basta-Politik, und die brauchen wir nicht“, sagte der Co-Chef der Grünen-Nachwuchsorganisation, Timon Dzienus. Nötig sei eine Debatte im Bundestag zu dem Thema. „Die Entscheidung ist fachlich nicht gerechtfertigt, sie ist nicht durch den Stresstest gedeckt, sie ist politisch außerordentlich fragwürdig“, sagte Ex-Umweltminister Jürgen Trittin dem ZDF. „Das wird, glaube ich, noch eine ganz schwierige Operation.“

Die Grünen hatten am Wochenende auf einem Parteitag beschlossen, nötigenfalls einen sogenannten Streckbetrieb für die Meiler Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis Mitte April 2023 mitzutragen.

Die FDP begrüßte den Beschluss des Kanzlers, obwohl er auch hinter ihren Forderungen zurückblieb. FDP-Chef Christian Lindner sagte, der Vorschlag finde die volle Unterstützung der Freien Demokraten. Eine „unideologische Energiepolitik“ sei das Gebot der Stunde. Lindners Vize Wolfgang Kubicki sieht die Energiefrage auch im kommenden Frühjahr auf der Tagesordnung. Er sagte dem „Spiegel“: „Ich gehe davon aus, dass wir Anfang kommenden Jahres wieder über die Zukunft der Energieversorgung über den 15. April hinaus sprechen werden.“

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kanzelte die Entscheidung von Scholz als „absurdes Schmierentheater“ ab. „Nach der Wahl in Niedersachsen und nach dem Bundesparteitag der Grünen kommt diese Entscheidung. Hier ging es weder um die Bürger, noch um die Versorgungssicherheit, sondern ausschließlich um die Egos von Habeck und Lindner“, sagte Bartsch den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte die Entscheidung von Scholz. Zugleich hieß es: „Ob ein Weiterlaufen der Kernkraftwerke über den April hinaus notwendig wird, muss abhängig der Versorgungs- und Preislage im Frühjahr 2023 offen und sachlich diskutiert werden.“  dpa/mmä

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