SPD-Chef: Wir hatten blinde Flecken bei Russland

von Redaktion

Ungewöhnliches Eingeständnis von Klingbeil – „Wandel durch Annäherung hat nicht funktioniert“

Berlin – Öffentliche Reue: SPD-Chef Lars Klingbeil hat mehrere Fehleinschätzungen seiner Partei in der Russland-Politik der letzten Jahrzehnte eingestanden. „Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten haben wir oft das Trennende übersehen. Das war ein Fehler“, sagte Klingbeil in einer Rede in Berlin. Die SPD habe nach dem Ende des Kalten Krieges geglaubt, dass die Beziehungen zu Russland einfach immer besser würden. „Dadurch sind blinde Flecken in unserem Umgang mit Russland entstanden. Und das hat zu Fehlern im Umgang mit Russland geführt.“

Klingbeil betonte. die Aussage, dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben könne, habe keinen Bestand mehr. „Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren. Russland hat sich aus dem System der gemeinsamen Sicherheit und der gemeinsamen Werteordnung verabschiedet. Unsere Sicherheit muss ohne Russland funktionieren.“

Die frühere Russland-Politik der SPD wird seit Monaten scharf kritisiert. Im noch gültigen SPD-Grundsatzprogramm von 2007 wird die strategische Partnerschaft mit Russland als „unverzichtbar“ für Deutschland und die Europäische Union bezeichnet. Im Wahlprogramm der SPD von 2021 steht: „Frieden in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben.“

Die SPD will ihre Außen- und Sicherheitspolitik bei ihrem Parteitag Ende 2023 neu aufstellen. Die Kommission Internationale Politik der Partei erarbeitet Vorschläge.

Klingbeil nannte in seiner Rede konkret vier Fehleinschätzungen der SPD seit dem Ende des Kalten Krieges: Man habe erstens daran geglaubt, dass die Geschichte beide Länder einander verpflichte. Dabei habe die SPD verkannt, dass Präsident Putin das anders sehe und die Geschichte für die autokratische Konsolidierung nach innen und seine Großmachtpolitik nach außen instrumentalisiere. Zweitens habe das Paradigma Wandel durch Annäherung nicht funktioniert. Deutschland habe sich drittens mit seiner Energiepolitik abhängig von Russland gemacht. „Eine solch einseitige Abhängigkeit darf nie wieder passieren.“

Und: Die Interessen der ost- und mitteleuropäischen Partner seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das habe zu einem massiven Vertrauensverlust geführt.

Es gebe sicher weitere Fehler, sagte Klingbeil. Ihm sei wichtig, daraus die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen. Der SPD-Chef betonte, dass er sich eine Normalisierung der Beziehungen mit Russland auch langfristig nicht vorstellen kann. „Es kann und wird mit Russland keine Rückkehr zum Status quo vor dem Krieg gegen die Ukraine geben.“

Gut sechs Monate vor Klingbeil hatte sich der frühere Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, heute Bundespräsident, öffentlich entschuldigt. Sein Festhalten an Nord Stream 2 sei „eindeutig ein Fehler“ gewesen, sagte Steinmeier damals. Auch er habe sich in Putin geirrt und Warnungen überhört.  dpa/mm

Artikel 3 von 11