Boris Johnson bastelt an seinem Comeback

von Redaktion

Nach der Rücktrittserklärung von Liz Truss spekuliert Großbritannien über die Nachfolge – Opposition will Neuwahlen

London – Als Liz Truss gestern zu ihrer Rücktrittserklärung ans Rednerpult tritt, bringt sie auf den Punkt, worum sich in ihrer Partei zuletzt alles drehte: „Wir haben die Vision einer Wirtschaft mit niedrigen Steuern und hohem Wachstum vorgelegt – die die Freiheiten des Brexits ausnutzen sollte“, sagt sie. Wie verfehlt diese Vision war, bekommt sie nun schmerzlich zu spüren. Es waren genau die Märkte, die sie entfesseln wollte, die ihren Abgang nach nur sechs Wochen im Amt einleiteten.

Wie keine andere Regierungschefin vor ihr versuchte die 47-Jährige, die Brexit-Ideologie in die Tat umzusetzen. Sobald die Fesseln der EU abgeworfen und Steuern gesenkt seien, sollte ein beinahe märchenhaftes Wirtschaftswachstum ausgelöst werden, so die Theorie. Statt zu einem Brexit-Wirtschaftswunder kam es zu einer heftigen Reaktion an den Finanzmärkten: Der Kurs des britischen Pfunds rasselte in den Keller. Die Renditen für britische Staatsanleihen schossen nach oben. Die Notenbank musste intervenieren, um Rentenfonds vor dem Kollaps zu bewahren.

Zu diesem Zeitpunkt war Truss gerade einmal zweieinhalb Wochen im Amt. Das britische Magazin „Economist“ bescheinigte ihr die Haltbarkeitsdauer eines Salatkopfes. Die Boulevardzeitung „Daily Star“ machte sich einen Spaß daraus und platzierte in einer Live-Übertragung einen Salatkopf neben dem Porträt der Premierministerin, um zu sehen, wer länger hält. Am Donnerstag stellte sie fest: Der Salat hat gewonnen. Denn als die Bank of England ihren Anleihenkauf beendete, fiel die Regierung in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Zuerst musste Finanzminister Kwarteng seinen Stuhl räumen. Weniger als eine Woche später war Truss dran. Es war ein „Zugunglück“ mit Ansage, wie es viele britische Medien bezeichneten. Truss hatte versprochen, all die kruden wirtschaftlichen Pläne der Brexit-Enthusiasten in die Tat umzusetzen. Sie setzte sich damit gegen ihren Rivalen Rishi Sunak im Rennen um die Nachfolge von Boris Johnson bei der Parteibasis durch.

Nun ist die Frage, wie es weitergeht. Die Konservative Partei hat angekündigt, bis Ende kommender Woche einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin bestimmen zu wollen. Eine langwierige Befragung der Parteimitglieder will man dieses Mal vermeiden. Der konservative Abgeordnete Graham Brady erklärte, es würden höchstens zwei Kandidaten zur Wahl gestellt. Der Prozess werde sehr viel kürzer sein als die Wahl im Sommer.

Über die Nachfolge wird in Großbritannien schon kräftig spekuliert. Dem im Sommer noch deutlich unterlegenen Sunak werden Chancen eingeräumt, weil er vor den Steuerplänen von Truss gewarnt hatte. Laut einer aktuellen YouGov-Umfrage hat der 42-Jährige die besten Zustimmungswerte unter den möglichen Nachfolgern.

Auch der erst im September abgetretene Premier Boris Johnson könnte wieder im Rennen sein. Laut einem Bericht der Zeitung „The Times“ erwägt Johnson im „nationalen Interesse“, zu kandidieren. Auf Twitter erstellten Konservative bereits den Hashtag #BringBorisBack („Bringt Boris zurück“). Der Tory-Abgeordnete Brendan Clarke-Smith sagte dem Sender Sky News, dass der nächste Premier ein Gewinner sein müsse. Johnson könne dieses Kriterium erfüllen. Der Tory-Abgeordnete Roger Gale hingegen forderte, Johnson von der Kandidatur auszuschließen, da gegen ihn immer noch parlamentarische Ermittlungen wegen des „Partygate“-Skandals laufen, der ihn zu Fall gebracht hatte.

An vorgezogenen Neuwahlen haben die Tories vermutlich wenig Interesse. Umfragen zufolge würde Labour Neuwahlen haushoch gewinnen. Labour-Chef Keir Starmer kritisierte, die Konservativen könnten nicht „noch einmal einfach mit ihren Fingern schnipsen und die Leute an der Spitze ohne Zustimmung des britischen Volkes austauschen“.  dpa/afp

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