München – Alles sah nach einem gelungenen Abend aus. Vor zweieinhalb Wochen, am Tag der Deutschen Einheit, empfing Olaf Scholz Emmanuel Macron. Nach dem Essen verbreitete das Kanzleramt ein Bild der beiden mit Blick auf das beleuchtete Berlin. Dazu schwärmte Scholz, wie viel ihm die deutsch-französische Freundschaft bedeute. Für Kontroversen sorgte nur der Kleidungsstil des Gastes. Macrons Rollkragenpullover fand öffentlich reichlich Erwähnung, nicht nur lobende.
Mit etwas Abstand könnte der Pulli auch eine Metapher für das Verhältnis zwischen den europäischen Schwergewichten sein. Es ist frostig geworden. Jüngster Beleg ist die Absage der geplanten Regierungskonsultationen. Das Treffen der beiden Kabinette in Fontainebleau wurde auf Januar verschoben. Beide Seiten führen zwar auch terminliche Gründe an, das Portal „Politico“ etwa verwies auf fünf deutsche Minister, darunter Annalena Baerbock, die die Herbstferien für einen Familienurlaub mit den Kindern nutzen wollten. Doch dass es kriselt, steht nicht nur zwischen den Zeilen der Kommuniqués.
Unverblümt räumte Regierungssprecher Steffen Hebestreit „eine ganze Reihe von unterschiedlichen Themen“ ein, bei denen man sich nicht einig sei. Nicht ganz so offen äußerte sich der Élysée-Palast. Man habe entschieden, „dass wir etwas mehr Zeit brauchen“. Ein Signal bedeute das nicht: „Das kommt vor.“
Doch dass ausgerechnet in Kriegszeiten die Führungsnationen des Kontinents sich nicht unterhaken, wie Scholz es so gerne ausdrückt, ist auf seine Weise auch ein Statement. Berlin und Paris vermeiden jene demonstrative Geschlossenheit, die sich die EU seit Monaten verordnet. Besonders in Paris hat sich einiger Frust aufgestaut.
Reibungspunkte gibt es genug. Beim gemeinsam mit Spanien entwickelten Kampfflugzeug FCAS ruckelt es genauso wie in der Frage eines europäischen Raketenabwehrschirms. Vorige Woche unterzeichneten 15 Staaten eine Absichtserklärung für das Projekt, das Scholz fleißig bewirbt. Frankreich fehlte.
Besonders weit liegt man in der Energiepolitik auseinander. Frankreich – das selbst massive Subventionen auf den Weg gebracht hat – wirft der Bundesregierung vor, mit dem 200-Milliarden-Paket gegen hohe Gaspreise der heimischen Wirtschaft einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Macron gehört zudem zu den Befürwortern eines EU-weiten Gaspreisdeckels, Scholz lehnt diesen kategorisch ab. All dies kommt bei der Grande Nation nicht gut an. Die Neigung der Deutschen zum Alleingang, bemerkt „Le Figaro“ spitz, sei „eigentlich schon immer die Norm“ gewesen.
Doch auch in Deutschland regt sich Unmut. Hier hadert man mit dem Widerstand Frankreichs gegen die MidCat-Pipeline, die Flüssiggas von Spanien über die Pyrenäen nach Frankreich und weiter ins deutsche Netz hätte liefern können. Paris jedoch, das mehrere Flüssiggas-Terminals hat und auf die Leitung nicht angewiesen ist, trat bis zuletzt auf die Bremse. Stattdessen präsentierte es gestern eine Alternative. Gemeinsam mit Spanien und Portugal soll ein „Grüner Energie-Korridor“ zwischen Barcelona und Marseille entstehen. Gedacht sei er für grünen Wasserstoff, könne aber für eine Übergangszeit auch Erdgas transportieren, teilten die drei Länder mit.
Dass all diese Differenzen nicht bei einem persönlichen Treffen der Regierungen ausgeräumt werden, kritisiert die Opposition deutlich. „Das wird im Kreml größte Freude auslösen“, sagte CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt. Alexander Radwan, europapolitischer Sprecher der Bundestags-CSU, sprach von einem „fatalen Signal“. Die Verschiebung sorge „für weiteren Vertrauensverlust bei unseren Partnern“.
Es gibt viel zu bereden. Gestern trafen sich Scholz und Macron beim EU-Gipfel, anschließend verkündete der Präsident öffentlich, es sei „nicht gut für Europa“, wenn Deutschland „sich isoliert“. Nächste Woche reist der Kanzler zudem möglicherweise nach Paris, als Termin ist der Mittwoch im Gespräch. Dann hätten auch die Kabinette tagen sollen.