VON MIKE SCHIER
Im Innenministerium brütet man nach den Anschlägen auf die Bahn darüber, wie man kritische Infrastruktur vor Übergriffen autoritärer Staaten schützen kann – im Kanzleramt plant man derweil ihren Verkauf. Offenbar hat Olaf Scholz nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Gegen die teilweise Übernahme des Hamburger Hafens durch ein chinesisches Staatsunternehmen hat das Kanzleramt jedenfalls nichts einzuwenden – anders als alle Fachministerien. Diese Kurzsichtigkeit der hanseatischen SPD-Connection ist atemberaubend.
Die Begründung der Hamburger Genossen für den Deal klingt wie aus einer anderen Zeit: Die Hansestadt forciert den Verkauf, weil sie fürchtet, gegen konkurrierende Häfen wie Rotterdam und Antwerpen ins Hintertreffen zu geraten. Schließlich drohen die Chinesen unverhohlen damit, ihren Handel sonst über diese Häfen zu betreiben – wo sich Peking längst eingekauft hat. Das ist die Art des freien Handels chinesischer Prägung: die marktwirtschaftlichen Vorteile der westlichen Welt nutzen, sich selbst aber eigene Spielregeln vorbehalten.
Warnungen vor diesem Modell, bei dem neben wirtschaftlichen auch knallharte Machtinteressen im Spiel sind, gibt es seit Jahren – spätestens seit dem Projekt der „neuen Seidenstraße“. Die EU schaut dem erstaunlich zahnlos zu. Und im Kanzleramt? Wie schon bei Nord Stream 2 hebeln kurzfristige Geschäftsinteressen den gesunden Menschenverstand aus. Beim ersten Mal konnte man das noch – wohlwollend – naiv nennen, beim zweiten Mal wäre es endgültig verantwortungslos.
Mike.Schier@ovb.net