München – Olaf Scholz hat es im Bund vorgemacht, nun muss ihm Florian von Brunn in Bayern „nur“ nacheifern: aus einer fast aussichtslosen Ausgangslage in die Regierung durchzustarten. An Scholz soll es nicht liegen: Der Bundeskanzler wurde eigens nach München eingeladen, um der bayerischen SPD Mut zu machen für die Landtagswahl im kommenden Jahr. Zuspruch vom Regierungschef können die Genossinnen und Genossen dringend gebrauchen, denn jüngste Umfragen hatten die Sozialdemokraten bei maximal zehn Prozent gesehen.
Niederschmetternde Zahlen, die aber die Sozialdemokraten nicht daran hindern, ein keckes Wahlziel zu formulieren: „Wir wollen regieren“, sagt Co-Landesvorsitzende Ronja Endres. Schaffen wollen sie das mit dem 53-jährigen von Brunn, der am Samstag von den 297 Delegierten mit stattlichen 93 Prozent zum Spitzenkandidaten gewählt wird. Ein Ergebnis, mit dem er „sehr zufrieden“ ist, schließlich ist der Münchner nicht gerade der Kandidat der Herzen, nachdem er vor einem Jahr den damaligen Fraktionsvorsitzenden Horst Arnold herausgefordert und abgelöst hatte. Er polarisiert und gilt im Landtag als Wadlbeißer.
Mit dem Ergebnis von über 90 Prozent wollen die Sozialdemokraten Geschlossenheit demonstrieren. Schaffen wollen sie den Aufbruch mit Rückenwind von Kanzler Scholz, der den Parteifreunden versichert: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass es hier erreicht werden kann, dass die bayerische SPD regiert.“ Es gehe um die Zukunft Bayerns – „und da muss man die richtigen Konzepte haben“, sagt er und fügt hinzu: „Wer ein klares Konzept hat, wer es beharrlich verfolgt, wer sich davon nicht abbringen lässt, der kann es auch schaffen, dass man eine Wahl gewinnt, wo man am Anfang in den Umfragen nicht vorne liegt – wir haben das schon bewiesen.“
Die Delegierten applaudieren, als würde ihnen die Begeisterung im kommenden Herbst weitere zehn Prozent in die Wahlurnen spülen. Der Kanzler im grauen Anzug und blauen Pullover spricht frei und erklärt in gewohnt ruhiger Manier seine Regierungspolitik. In 28 Minuten spricht er über die Energiepolitik, versichert den Bürgern, dass alles getan werde, „damit wir gemeinsam durch diese Zeit kommen“. Er vermeidet es, den Namen des CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder in den Mund zu nehmen, gleichwohl wirft er der Staatsregierung Versagen vor. Bayern brauche eine Partei in der Regierung, die für den Ausbau der Windenergie stehe, und nicht eine, die den Ausbau jahrzehntelang verschleppt habe.
Zum Wahlkampf in Bayern verliert er nur wenige Worte. Erst am Ende erwähnt er hanseatisch knapp den Namen des Spitzenkandidaten – verbunden mit einem Auftrag: Die SPD brauche überall in Deutschland Männer und Frauen, die sich für das große Versprechen der Sozialdemokraten nach mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft einsetzen. „Florian – und das ist deine Sache!“
Von Brunn nimmt sich „den Söder“ freilich stärker vor, verspricht eine soziale Politik, will Bayern zum Vorreiter in der Energiewende treiben, die Gleichstellung von Männern und Frauen voranbringen, die Gesundheitsversorgung auch auf dem Land verbessern. Der 53-Jährige hält eine solide Rede – nur einmal wird er wütend: Als er von verzweifelten Menschen in seinem Bürgerbüro erzählt, die Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren. „Es trifft Menschen, die ihr ganzes Leben hart gearbeitet haben.“ Es mache ihn zornig, dass CSU und Freie Wähler solche Menschen im Regen stehen ließen. „Das darf nicht sein, und das will ich ändern.“
Nach der Nominierung ihres Spitzenkandidaten gibt sich die bayerische SPD entschlossen zur Aufholjagd. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter lässt seine Genossen an seinen kühnsten Träumen teilhaben: Darin gehe er nachts durch den Hofgarten und sehe hektische Betriebsamkeit in der hell erleuchteten Staatskanzlei. „Ganz viele geschäftige Büromenschen, die hin- und herlaufen. Aber nicht, weil sie gerade engagiert regieren, sondern weil es nun mal aufwendig ist, beim Räumen der Büros die Altlasten aus 60 Jahren entsorgen – den Filz und die Strauß-Devotionalien.“ Dazu ratterten die Aktenvernichter. Träume sollten manchmal auch wahr werden, findet Reiter. Die Bayern-SPD jubelt. Und der Kanzler lächelt.