Rom – Im ersten Stock des Palazzo Chigi wartete Mario Draghi. Langsamen Schrittes stieg Giorgia Meloni den roten Teppich hinauf, an dessen Ende ihr Vorgänger die neue Ministerpräsidentin Italiens per Handschlag empfing. „Eine emotional bewegende Angelegenheit“, kommentierte Meloni ihren Empfang am Amtssitz der Regierungschefs in Rom. Am Samstag waren Meloni und ihr Kabinett, die 68. Regierung der Nachkriegszeit, vereidigt worden. Am Sonntag fanden im Palazzo Chigi die Amtsübergabe und die erste Sitzung des Ministerrats statt. Draghi wurde mit Applaus von seinen Mitarbeitern verabschiedet.
Die ultrarechte Regierung Meloni nimmt die Arbeit unter besonders schwierigen Bedingungen auf. Prioritäten sind nun die hohen Energiepreise sowie die Ausarbeitung und Verabschiedung des Haushaltsgesetzes für 2023. Die Premierministerin von den rechtsradikalen Fratelli d’Italia will seit dem Wahlsieg ein Bild besonderer Seriosität und Beflissenheit vermitteln. Die Besetzung des Kabinetts macht bereits verschiedene Stoßrichtungen der neuen Regierung deutlich.
Zu sehen ist zum einen das Bemühen um Kontinuität mit der Vorgängerregierung. Der neue Wirtschafts- und Finanzminister Giancarlo Giorgetti ist Vizechef der rechtspopulistischen Lega, aber auch ein von Draghi geschätzter Finanzfachmann und dessen früherer Minister für wirtschaftliche Entwicklung. Giorgetti war in der Lega der Mann der Institutionen, kooperativ mit der EU. Der Austritt der Lega aus der Regierung Draghi ging auf das Konto von Parteichef Matteo Salvini, Giorgettis Widersacher.
Kontinuität in der Verankerung Italiens als Alliierter des Westens verspricht Antonio Tajani als Außenminister. Der Forza-Italia-Politiker und frühere Vorsitzende des Europaparlaments drückte als erste Amtshandlung seinem ukrainischen Amtskollegen Italiens Solidarität aus. Das Telefonat war auch eine Reaktion auf Parteichef Silvio Berlusconi, der vor Tagen mit seiner wiederbelebten Freundschaft zu Wladimir Putin geprahlt hatte. Stabilität verheißt auch der Minister für Umwelt und Energiesicherheit, Gilberto Pichetto Fratin (Forza Italia).
Die auf den ersten Blick drastischste Personalentscheidung ist die Nominierung Eugenia Roccellas als Ministerin für Familie und Geburten (Fratelli d’Italia). Die frühere Frauenrechtsaktivistin ist seit Jahren eine der führenden Figuren der Pro-Life-Bewegung in Italien und militante Abtreibungsgegnerin. Die 68-Jährige lehnt die „Pille danach“, rasche Scheidungen sowie Sterbehilfe ab und spricht sich gegen Rechte für LGBT-Gemeinschaft aus.
Signale in Richtung einer nationalistischen Politik sendet die Premierministerin mit der Umbenennung einiger Ministerien. Das Ressort für wirtschaftliche Entwicklung heißt nun Ministerium für Unternehmen und Made in Italy, das Landwirtschaftsministerium Ministerium für Nahrungsmittelsouveränität.
Wie viel Veränderung Meloni gelingt, hängt von der Dauer ihrer Regierung und dem Kalkül ihrer Partner ab. Lega-Chef Salvini versprach zwar „fünf gemeinsame Jahre“, hat aber die beiden jüngsten Exekutiven mit Beteiligung der Lega platzen lassen. Immer weniger berechenbar ist auch der Forza-Italia-Vorsitzende Berlusconi. Seinen schleichenden Machtverlust hat er sichtlich nicht verwunden. Schon vor der Vereidigung torpedierte er Melonis Seriösitäts-Offensive mit seinem Lob Putins. Meloni will Italien verändern. Ob ihr das gelingt, entscheiden auch andere. JULIUS MÜLLER-MEININGEN