London – Auf und ab in London: Im Wettstreit um das Amt des britischen Premierministers will Ex-Premier Boris Johnson vorerst offenbar doch nicht antreten. Am späten Sonntagabend zog er sich aus dem Rennen zurück und verwies auf die gespaltene konservative Partei. Man könne nicht effektiv regieren, wenn die Partei im Parlament nicht geeint auftrete, zitierten ihn Journalisten. Nichtsdestotrotz halte er sich für geeignet, einen Sieg der Konservativen bei der Wahl 2024 zu erzielen.
Nun gilt Ex-Finanzminister Rishi Sunak mit mehr als 120 öffentlichen Unterstützern aus der Fraktion als Favorit. „Großbritannien ist ein großartiges Land, aber wir sind in einer ernsthaften ökonomischen Krise. Deshalb möchte ich die Konservative Partei anführen und nächster Premierminister werden“, twitterte er und betonte „Integrität und Professionalität“.
Der skandalumwitterte Johnson war auch von Parteifreunden ermuntert worden, wieder anzutreten. Er habe „ganz klar eine breite Unterstützung“, betonte der Verbündete und Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg. Aus dem Kampagnen-Team hieß es, Johnson habe die für eine Kandidatur notwendige Schwelle von 100 Unterstützern bereits erreicht. Allerdings kamen daran schnell Zweifel auf, da sich öffentlich erst etwa halb so viele für ihn ausgesprochen haben.
Ex-Premier Johnson, der am Samstag mit seiner Familie aus einem abgekürzten Karibik-Urlaub zurückkam, hatte sich noch am gleichen Abend mit Sunak zum Gespräch getroffen. Britische Medien spekulierten, die beiden könnten sich auf einen Deal einigen, um eine noch tiefere Spaltung zu vermeiden. So kursierte etwa das Szenario, der Favorit Sunak könne Johnson eine Rolle in einem Kabinett anbieten. Am Sonntag blieb offen, ob es einen solchen Deal geben könnte. Sunak hatte mit seinem Rücktritt als Finanzminister aus dem Johnson-Kabinett im Sommer maßgeblich dazu beigetragen, den damaligen Premier zu Fall zu bringen. Das Verhältnis der Männer galt schon zuvor als angespannt, seitdem als zerrüttet.
Als Dritte im Rennen ist die Ministerin für Parlamentsfragen, Penny Mordaunt, wohl bislang am wenigsten Unterstützer hinter sich vereinen kann. Sie trete jedoch an, um zu gewinnen, und schließe einen Deal mit Johnson aus, sagte Mordaunt der BBC. Auf Auskünfte zu ihren konkreten Politikplänen – etwa zur Reform des unterfinanzierten Gesundheitssystems oder zu Verteidigungsausgaben – wollte sie sich hingegen nicht festlegen. Noch bis heute Nachmittag können weitere Nominierungen eingehen.
Mehrere Abgeordnete haben gedroht, dem Premier die Gefolgschaft zu verweigern oder gar die Partei zu verlassen, sollte Johnson zurück ins Amt kommen. Über dem Skandalpolitiker schwebt noch immer eine Untersuchung dazu, ob er in der „Partygate“-Affäre das Parlament belogen hat – was als K.o.-Kriterium gelten würde. Der einflussreiche Abgeordnete Steve Baker bezeichnete ein Johnson-Comeback als „garantiertes Desaster“.
Neben Baker hat Sunak auch andere Schwergewichte aus der Tory-Partei hinter sich: Grant Shapps, der 2019 mit die Johnson-Kampagne zum Erfolg führte, schloss sich diesmal Sunaks Lager an. Dass auch Handelsministerin Kemi Badenoch vom rechten Rand der Partei sich für den 42-Jährigen aussprach, gilt als Anzeichen, dass sich verschiedene Parteiflügel hinter Sunak vereinigen könnten.