So wütend über einen großen Wahlerfolg war man links der Mitte noch nie. Mit absoluter Mehrheit hat Boris Palmer soeben sein Amt als Stadtchef von Tübingen verteidigt. Als „Rassist“ verunglimpft ihn der bayerische SPD-Generalsekretär, als „AfD-Bürgermeister“ verhöhnen ihn Berliner Grüne. Wie kleingeistig. Der Triumph des polarisierenden, aber daheim sehr populären Palmer ist eher eine Mahnung, gerade an seine grüne Ex-Partei: Für Ideologie und Klientelpolitik reicht vielleicht ein schmales Meinungsspektrum, für Wahlsiege nicht.
Palmer ist nun gar nicht so schön, wie es neudeutsch heißt, „woke“. Er hat auch zu Migration und Integration einen anderen, viel kritischeren Kurs als den des grünen Parteiprogramms. Und er liebt es, das der Öffentlichkeit provokant mitzuteilen. Die Grünen sollten trotzdem lernen, ihn auszuhalten. Weil er in die Breite wirkt, in konservative Milieus hinein, in denen Pragmatismus positiv ist und grüner Dogmatismus abschreckt. Und weil er Erfolg hat, auch nach ökologischen Maßstäben: Die Universitätsstadt Tübingen ist bei Klima- und Umweltschutz weiter als andere deutsche Städte.
Nun öffnet sich ein Zeitfenster, sich wieder anzunähern. Palmer, diesmal als Parteifreier angetreten und von der CDU nicht bekämpft, ist bereit für einen Neuanfang mit seinen Grünen. Mal sehen, ob die Partei tolerant und klug genug ist, seine ausgestreckte Hand zu ergreifen.
Christian.Deutschlaender@ovb.net