München – Er hatte ja angekündigt, dass er die Reise zeitnah nachholen wolle, aber dass es so zeitnah sein würde, glaubte wohl kaum jemand. Eine Woche, nachdem er seien ursprünglich geplanten Besuch aus Sicherheitsgründen absagen musste, ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag nach Kiew gereist. Unangekündigt, per Nachtzug – so wie viele Politiker vor ihm.
Dabei ist es nicht irgendein Besuch, zwischen Steinmeier und der Regierung in Kiew herrschte eine ganze Weile lang Eiszeit. Schon Mitte April wollte er kommen, war aber wegen seiner russlandfreundlichen Politik als Außenminister in der Ukraine nicht erwünscht. Das war ein Affront, erst ein Telefonat zwischen dem deutschen und dem ukrainischen Präsidenten Anfang Mai entspannte die Lage. Dann ein zweiter Besuchs-Anlauf vergangene Woche. Diesmal rieten Sicherheitsbehörden kurzfristig ab. Beim dritten Mal hat es nun geklappt.
„Mir war es wichtig, gerade jetzt in dieser Phase der Luftangriffe mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen ein Zeichen der Solidarität an die Ukrainerinnen und Ukrainer zu senden“, sagt Steinmeier gestern in Kiew. Er versichert, Deutschland werde die Ukraine weiter unterstützen, „wirtschaftlich, politisch und auch militärisch“. Er schaue „wie viele Deutsche voller Bewunderung auf die Menschen hier in der Ukraine“. Kiew, das in den vergangenen Wochen mit Raketen beschossen wurde, scheint Eindruck auf ihn zu machen. Von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko ließ sich Steinmeier persönlich die Folgen der jüngsten russischen Angriffe zeigen.
Dass die Bedrohung real ist, spürt er gleich am eigenen Leib. In Korjukiwka, nordöstlich der Hauptstadt, muss er für anderthalb Stunden in einem Luftschutzkeller Schutz suchen. Korjukiwka war zu Beginn des Angriffskrieges von russischen Truppen besetzt gewesen. Die Besatzer haben sich zurückgezogen, aber die Stadt kämpft vor dem hereinbrechenden Winter mit zerstörter Infrastruktur und Versorgungsengpässen. Steinmeier würdigt den Mut der Bewohner, „die sich mit bloßen Händen den Panzern entgegengestellt haben und sie tatsächlich zum Stoppen gebracht haben“.
Als Zeichen der Solidarität versprach der Bundespräsident bei einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eine zügige Lieferung weiterer deutscher Waffensysteme zur Luftverteidigung. Außerdem rief Steinmeier zusammen mit Selenskyj zu deutsch-ukrainischen Städtepartnerschaften auf.
In Berlin wird bereits über Reparaturen diskutiert. Zur Wiederaufbau-Konferenz haben Kanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gebeten. Und wie immer, wenn es um den Neuaufbau eines Landes geht, fällt natürlich auch das Wort „Marshallplan“. Die Milliardensummen fliegen nur so durch die Gegend, schon im Juli sprach Kiew von 750 Milliarden Euro. Wie viel das alles insgesamt kosten wird, kann mitten im Krieg aber natürlich noch niemand sagen.
Scholz nennt den Wiederaufbau der Ukraine eine „Generationenaufgabe“. Es gehe um die Gestaltung der Zukunft der Ukraine „nicht nur für die kommenden Monate, sondern für die kommenden Jahre“. Von der Leyen mahnt: „Wir müssen sicherstellen, dass die Ukraine jederzeit die Unterstützung bekommt, die sie braucht.“ Niemand könne den Wiederaufbau alleine stemmen. Man brauche starke Partner wie die USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Australien sowie Institutionen wie die Weltbank.
Der ukrainische Präsident Selenskyj ist per Video zugeschaltet. Er spricht von Investitionen in Krankenhäuser, Schulen, Verkehrswege und andere lebenswichtige Infrastruktur. Geld werde auch benötigt, um Lehrer und Ärzte zu bezahlen sowie Renten auszuzahlen. Die G7 haben bereits Finanzhilfen für 2023 zugesagt. In diesem Jahr flossen ihren Angaben zufolge zusätzlich zur militärischen und humanitären Unterstützung bereits 20,7 Milliarden US-Dollar. Insgesamt sind 33,3 Milliarden Dollar zugesagt. Mit Abstand größter Geldgeber sind die USA, Deutschland ist mit 1,4 Milliarden Euro größter Geber innerhalb der EU.
Mahnende Worte kommen aus der CSU. Außenexperte Thomas Silberhorn mahnt in der „Augsburger Allgemeinen“ den dauerhaften Kampf der Regierung in Kiew gegen Korruption an. „Mit unseren Hilfen dürfen wir nicht die Schattenwirtschaft der Oligarchen füttern.“ mm/dpa/afp