Wie Söder seine Vorgänger feiert

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Für eine Geburtstagsparty ist es ein üppig nobler Rahmen. Gemietet ist das Cuvilliés-Theater in der Residenz, roter Samt und goldene Ornamente, gebucht ein Jazz-Ensemble, die Ansprache hält der Ministerpräsident. Außerdem reden, ehe die 300 Gäste sich zu den Hymnen erheben, zwei ehemalige Ministerpräsidenten. Die illustre Runde feiert – ja, wen feiert sie eigentlich? Sich selbst? Ihre Vorgänger? Das Land?

Mit dem Festakt am Mittwochabend begeht Markus Söder „75 Jahre Staatsregierung“. 1945 kam die erste Regierung ans Ruder, im Mai von den Amerikanern eingesetzt. Erst 1947 amtierte die erste vollständige und demokratisch komplett legitimierte Regierung. CSU, klar. Doch der Rückblick auf all die Regierungen ist bunter als das Klischee. Neun Parteien waren Teile von ihr, sogar – gottseibeiuns – 1946 mal ein KPD-Minister. Ehe 1957 die europaweit einzigartige CSU-Dauerregentschaft begann, war auch ein Sozialdemokrat der Chef: Wilhelm Hoegner ab 1954 in einer Viererkoalition mit FDP, Bund der Heimatvertriebenen und Bayernpartei.

Auch ohne Parteibrille ist klar: Die 75 Jahre Staatsregierung waren eine Erfolgsgeschichte. Vom bitterarmen Agrarstaat, zerbombter Hilfsempfänger, entwickelte sich Bayern zum Hightechstandort, zum Milliarden-Geberland im Finanzausgleich.

Thomas Goppel (75), der viereinhalb Jahrzehnte im Landtag saß und fast zwei Jahrzehnte am Kabinettstisch, sieht heute die 60er- und 70er-Jahre als die prägendsten Regierungszeiten an – als sein Vater Alfons Goppel Ministerpräsident war (1962-1978), dann gefolgt von Franz Josef Strauß. „Wer das Glück hatte, alles neu ordnen zu dürfen, hat großartige Zeiten erlebt“, sagt Goppel. „In Bayern war so viel Aufbruch wie nie. Wir sind vom vorletzten auf den ersten Platz in Deutschland vorgerückt.“ Auf die Zeit 1970 bis 1974 taxiert Goppel die wichtigsten Bildungsgesetze für Bayern. Die Erben – darunter Stoiber, Seehofer, Söder – fanden die neue, andere Herausforderung vor, Bayern an der Spitze zu halten.

Auch der Stil der Regierungen habe sich verändert, macht Goppel deutlich. Sein Vater noch habe so regiert, dass er die Minister handeln ließ und am Dienstag (in den Kabinettssitzungen) nachjustierte. „Der Franz Josef hat es ähnlich gemacht, mit etwas deutlicherem Vorrang-Anspruch.“ Seither dann sei von Mal zu Mal „die Dirigentenstelle größer geworden“, also der Anspruch der Ministerpräsidenten, mehr selbst zu regeln und vorzugeben.

Gleichzeitig, und das treibt Goppel um, wuchsen jedes Jahr Größe und Einfluss der Verwaltung. Heute müsse auch in Bayern die Politik oft darum kämpfen, sich die Führung zurückzuholen vom Apparat. „Das ist eine schlechte Entwicklung.“

Der Festakt am Mittwoch wird mit Neugier erwartet. Es könnte ja Zwischentöne geben, etwa im Lobpreis von Söder für den Vorgänger Seehofer. Und auch, weil es ja kein CSU-Jubelfest sein soll. 2018 beim Jubiläum „100 Jahre Freistaat“ gelang Festredner Söder noch das Kunststück, den Sozialisten Kurt Eisner, der den Freistaat 1918 ausrief, kein einziges Mal zu erwähnen. Was Zuhörer erheiterte, aber die SPD erboste. „Geschichtsvergessen“ sei das, tobten damals führende SPD-Abgeordnete, Söder habe „nicht einmal das Niveau der Sendung mit der Maus“.

Was wird Söder also über Hoegner sagen? Goppel winkt ab, jene kurze Viererkoalition in den 50ern sei „keine historische, sondern eine hysterische Regierung“ gewesen, voll innerer Konflikte. Der heutige SPD-Chef Florian von Brunn sieht Hoegner freilich anders. „Ich hoffe, das wird nicht nur eine Söder-Show“, sagt er über den Akt. Denn es gehe hier auch „um das Vermächtnis des Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner, des Vaters unserer Verfassung und SPD-Ministerpräsidenten“.

Hoegner habe übrigens gewusst, so merkt von Brunn spitz an, „wie wichtig Wechsel für die Demokratie ist“.

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