„Wir werden Corona nicht mehr los“

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH

München – Klaus Holetschek muss mal wieder auf die Stiko warten – genauer gesagt auf Thomas Mertens, den Chef der Ständigen Impfkommission, für die das Kürzel Stiko steht. Die beiden Männer sind zu einem Besuch des Impfzentrums im Münchner Gasteig verabredet. Der Gesundheitsminister von der CSU ist schon da, und auch Beatrix Zurek, die Gesundheitsreferentin der Landeshauptstadt, ist gekommen. Doch Mertens steckt im Stau.

Ein Bild, das Erinnerungen weckt. In den vergangenen Jahren war es immer wieder so, dass dieser Mann und sein Gremium die Holetscheks, Spahns und Lauterbachs dieser Welt auf ihre Einschätzungen zu Impffragen warten ließen, während andere Länder und Behörden längst Entscheidungen getroffen hatten. Wie ein roter Faden zog sich das durch die Pandemie. Zuletzt hatte Holetschek die Stiko im Sommer gedrängt, endlich Klarheit zu schaffen, wem wann eine vierte Impfung angeraten sei. Die ständig neuen und teils widersprüchlichen Empfehlungen müssten ein Ende haben.

Am Donnerstag wirkt der mittlerweile eingetroffene Mertens ungerührt, wenn man ihn darauf anspricht. Die Politik habe eben „ein großes Handlungsbedürfnis“. Das könne im Extremfall aber auch dazu führen, dass – wie in China geschehen – großflächig Desinfektionsmittel durch die Straßen gesprüht werde. Selbst wenn in Deutschland niemand auf diese Idee gekommen sei, habe er auch hierzulande den Eindruck, dass am Ende die Geschwindigkeit „nicht so relevant war, wie das manchmal dargestellt wurde“. Im Rückblick würde er als Stiko-Chef jedenfalls alles „weitestgehend wieder genauso machen“. Ohnehin – so macht er klar – lasse er sich von ein paar drängelnden Ministerpräsidenten nicht unter Druck setzen. „Ich hab’ vom lieben Gott ein dickes Fell mitbekommen“, sagt Mertens. Und bei den Beratungen der Stiko habe politischer Druck keine Rolle gespielt.

Holetschek blickt Mertens freundlich an, doch er wirkt auch ein bisschen fassungslos. „Aber Sie haben schon ernst genommen, was wir gesagt haben als Gesundheitsministerkonferenz?“, fragt der Minister. Mertens beschwichtigt. „Sie wissen schon, was ich meine – letztendlich, sozusagen“, erwidert der Stiko-Chef. Holetschek wird ernster. „Es war schon für uns auch schwierig an verschiedenen Schnittstellen“, sagt er. Aber am Ende habe man das ja alles ganz gut hingekriegt.

Und die Zukunft? Hier lässt Mertens keine Klarheit vermissen. „Wir werden das nicht mehr los, egal was wir machen.“ Das Coronavirus lasse sich nicht ausrotten wie andere Erreger, sondern bleibe „uns weit über unsere Urenkel hinaus erhalten“. Längerfristig gebe es nur einen Weg: „Dass die Covid-19-Problematik langsam in eine Normalsituation überführt wird.“

Dazu müsse künftig stärker zwischen Infektionen und Erkrankungen unterschieden werden. In einer neuen Normalität müsse man „Menschen schützen, von denen wir wissen, dass sie ein hohes Risiko für schwere Erkrankungen haben“ – was die ureigene Aufgabe von Impfungen sei. Man könne aber nicht mehr alle sechs Monate „die gesamte Bevölkerung dazu aufrufen, sich impfen zu lassen, nur um Infektionen zu vermeiden“ – was der Impfstoff auch gar nicht leisten könne. Auch dieses Jahr sei „in den Dezember hinein“ mit einer weiteren Ansteckungswelle zu rechnen, sagt Mertens. Doch solche Infektionswellen werde man jetzt und in den kommenden Jahren akzeptieren müssen – und stattdessen Krankheitswellen verhindern.

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