Berlin – In Europa herrscht wieder Krieg. Was hat das für Deutschland zur Folge? Diese bange Frage stellen sich momentan viele Menschen. Der Bundespräsident versucht, Antworten zu geben. Er malt ein düsteres Zukunftsszenario – und versucht doch, auch Hoffnung zu verbreiten.
Frank-Walter Steinmeier hat die Menschen in Deutschland auf eine schwierige Zukunft als Folge des Ukraine-Kriegs eingestimmt und ihren Widerstandsgeist beschworen. In einer Grundsatzrede nannte er den russischen Angriff einen „Epochenbruch“, der dazu zwinge, alte Denkmuster aufzugeben. Die Menschen müssten sich auf Einschränkungen einstellen. Der Staat werde jedoch denen helfen, die es nicht allein schafften. Dazu müssten Wohlhabende ihren Beitrag leisten. Steinmeier warnte auch davor, andere drängende Aufgaben wie den Kampf gegen den Klimawandel jetzt zu vernachlässigen.
Er sprach im Schloss Bellevue. In seiner Rede wandte sich Steinmeier mehrfach mit der Formulierung „liebe Landsleute“ direkt an die Bürger. Die Zeit vor dem Ukraine-Krieg sei eine „Epoche mit Rückenwind“ gewesen, sagte er. Die Deutschen hätten vom Ende der Blockkonfrontation reichlich profitiert. Aber: „Die Friedensdividende ist aufgezehrt. Es beginnt für Deutschland eine Epoche im Gegenwind.“ Steinmeier sagte voraus: „Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu.“
Die Menschen müssten in den kommenden Jahren Einschränkungen hinnehmen. Dies möge in den Ohren derer, die heute schon nicht über die Runden kämen, wie Hohn klingen. Deshalb sei die Versicherung wichtig: „Unser Staat lässt Sie auch in dieser Zeit nicht allein!“
Deutschland könne in diesen Jahren auf seine Kraft und Stärke bauen, die es sich erarbeitet habe. Das Land sei wirtschaftlich stark, habe gute Forschung, starke Unternehmen, einen leistungsfähigen Staat sowie eine große und starke Mitte in seiner Gesellschaft. Zu diesen Stärken, die dem Land bislang geholfen hätten, müsse aber etwas hinzukommen. „Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen. Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und auch die Kraft zur Selbstbeschränkung.“ Nötig sei keine Kriegsmentalität. „Aber wir brauchen Widerstandsgeist und Widerstandskraft.“
Dazu gehöre zuallererst eine gut ausgestattete Bundeswehr, betonte der Bundespräsident. Deutschland sei das starke Land in der Mitte Europas und stehe in der Pflicht, seinen Beitrag zur Bündnisverteidigung zu leisten. „Ich versichere unseren Partnern: Deutschland nimmt seine Verantwortung an, in der Nato, in Europa.“ Konfliktfähigkeit und Widerstandskraft erfordere aber noch mehr. In dem Maße, in dem die Erwartungen an Deutschland wüchsen, werde auch die Kritik an ihm zunehmen. „Damit müssen wir erwachsen umgehen und nicht jede Kritik von außen umgehend als Munition in der innenpolitischen Auseinandersetzung missbrauchen.“
Steinmeier rief die Menschen zu Engagement und Gemeinsinn auf. „Liebe Landsleute, diese neue Zeit, sie fordert jeden Einzelnen.“ Kreml-Chef Putin versuche, Europa zu spalten und trage dieses Gift auch ins Innere unserer Gesellschaft. „Auch unsere Demokratie gehört zur kritischen Infrastruktur. Und sie steht unter Druck. Sie schützen können nur wir selbst.“ ULRICH STEINKOHL