„Wir haben eine riesige Wut“

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Augsburg – Zwischen Warnung und Wurst liegen nur wenige Meter. Düster blickt Markus Söder drein, als er sich aus der Limousine schält. „Unser Land ist in schweren Zeiten“, sagt er mit schwerer Stimme in die Mikrofone. Die Lage sei ernst, er wolle „Halt und Hoffnung“ bieten. Wenige Sekunden und ein paar Schritte weiter auf dem Weg in die Halle bröckelt der Ernst schon: Söder biegt spontan ab zum Bratwurststand, Späßchen über Veganes und Schweinernes, den Grillmeister kennt er noch aus der JU.

Ist das nun inkonsequent, alles wieder Show? Oder eben nur die volle Bandbreite in einer aberwitzigen Zeit? Söder umreißt damit jedenfalls umfänglich die Stimmung, die auch in der Augsburger Halle herrscht: volatil, schwankend, besorgt, aber gesellig. Zum ersten Mal seit der Pandemie kommt der Parteitag in Vollbesetzung zusammen. Die eine Krise ist noch nicht ganz vorbei, da ist die Russland-Sache schon mit voller Wucht eingeschlagen.

Söder bemüht sich, diesen ersten Tag mit seinen Botschaften zu prägen. Er ist Vorredner vor der Halle, Aufwärmer im Ausstellerareal neben der Halle, dann Hauptredner des Parteitags in der Halle. Zwischendrin in großen Schlucken ein Energydrink.

Söders Maximalpräsenz hat Gründe: Die Partei ist gerade nach Corona und ein Jahr vor der Wahl voll auf ihn zugeschnitten. Er muss trotzdem um Rückendeckung kämpfen, denn die Umfragen sind weiter nicht berauschend, die Verunsicherung ist groß. Der Frust über die verlorene Bundestagswahl 2021 konnte nirgendwo raus. Die Corona-Wunden sind nicht alle geheilt. Gleichzeitig treiben echte Ängste, nicht nur Befindlichkeiten, die Basis um. Sorgen vor einer Pleitewelle in der Wirtschaft. Bürgermeister, die früher als manch Berliner Minister eine neue Flüchtlingskrise anrollen sehen, raunen bitter, man könne ja nun nahtlos die Impfzentren zu Asylunterkünften umwidmen, „stellen wir halt ein paar Feldbetten rein“.

Söder und seine Regie tun alles, um Frust zu dämpfen: an echt jeder Ecke des Parteitags kostenlose Verpflegung, schon zum Start Freibier, eine Wagenladung Gummibärchen bei den Ausstellern. Und viele warme Worte. Die CSU habe „Tritt gefasst“, redet Söder den Delegierten ein. Ja, „es war Depression in der Partei“. Nun habe sie „wieder ihre Mitte gefunden“.

Seine Parteitagsrede streiftviele Themen. Söder rechtfertigt seine Corona-Politik von superhart bis megalocker. Er arbeitet sich viel an der „überforderten Regierung in Berlin“ ab, sie sei eine der schwächsten in der deutschen Geschichte, „endlos peinlich“. Hauptgegner: die Grünen als „nette Schönwetterpartei“. Stärker als bisher betont er aber auch, was Bayern machen wolle. Zu viel Ampel-Gemaule, zu wenig Konzepte, das hatten auch hohe Parteifreunde kritisiert.

Söder verkündet, dass Bayern massiv neue Wasserkraftwerke baue, auch große Pumpspeicher. Dazu „mindestens 1000“ neue Windräder und Photovoltaik auf allen Staatsdächern. In jeder Region soll ein Elektrolyse-Kraftwerk für Wasserstoff entstehen. Söders Pointe: „Wir wollen nicht nur unabhängig von Russland werden, sondern auch deutlich unabhängiger vom Norden Deutschlands.“ Es gibt sehr viel Beifall.

Indirekt will er auch gegensteuern gegen das Gemurre, die Söder-CSU schaue zu selten über den Leberkästellerrand. Zum Parteitag lässt er überraschend Vitali Klitschko zuschalten, Kiews Bürgermeister. Er spricht auf Deutsch über Tod und Verzweiflung. „Wir kämpfen ums Überleben“, sagt Klitschko in den plötzlich mucksmäuschenstillen Saal, „wir verteidigen auch euch.“ Und: „Wir haben eine riesige Wut.“ Eine kurze Rede, am Ende steht die ganze Halle.

Für den Moment schweißt das zusammen. Die Stimmung bleibt aber kippelig. Auf den Tischen vor sich finden die Delegierten diesmal ein sonderbares Geschenk, passt zur unkalkulierbaren Lage: Einen Würfel bekommt jeder, statt der Sechs ein CSU-Logo. „Wir sind vielseitig“, ließ Söder als Erklärung dazu auf die Verpackung drucken.

Klitschko redet über Tod und Zorn

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