München – Der Herr im Fernsehen sieht aus wie Friedrich Merz, er ist angekündigt als Friedrich Merz, es ist auch Friedrich Merz. Aber er klingt nicht so. „Ich will ein bisschen die Schärfe aus dieser Diskussion herausnehmen“, sagt er freundlich und geduldig, gar nicht in Stil und Ton eines Oppositionsführers. Tatsächlich: Mit seinem Kompromissvorschlag zum Bürgergeld hat der CDU-Vorsitzende viele seiner Gegner kalt erwischt.
Via „Tagesthemen“-Interview bot er SPD, Grünen und FDP an, einen Teil der Reform gemeinsam zu beschließen: die höheren Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger nämlich. Schon diese Woche könne der Bundestag zustimmen, schlägt Merz vor. „Wir wollen eine Lösung.“ Die höheren Sätze sollten „spätestens“ ab Januar greifen.
Es ist ein politischer Schachzug. Über den Bundesrat, die Länderkammer, könnte die Union das von der Ampel geplante Bürgergeld nämlich ausbremsen und in den Vermittlungsausschuss schicken. Die Union hat massive Vorbehalte gegen die große Sozialreform, weil sie die Schonvermögen für zu hoch und die weitgehende Aussetzung der Sanktionen für Arbeitsunwillige für fatal hält. Hinzu kommen Sorgen von Praktikern aus den Sozialbehörden, die Hopplahopp-Reform überfordere die Verwaltung. Das bisherige Entgegenkommen der Koalition bei den Heiz- und Umzugskosten genügt der Union nicht.
Merz’ Plan: Dass angesichts der Inflation auch Arbeitslose mehr Geld brauchen, ist Konsens und kann beschlossen werden. Diese Woche schon, denn am Donnerstag plant der Bundestag im Eilverfahren die zweite und dritte Lesung des Gesetzes. Über die Streitpunkte will er dann mit der Ampel umso härter verhandeln, ohne als sozial kalt zu gelten. Im Gegenteil: Sollte die Ampel seiner Aufteilungs-Idee nicht zustimmen, stehen plötzlich die Regierungsparteien so da, als würde an ihnen eine schnelle Regelsatz-Erhöhung scheitern.
In den eigenen Reihen ist der Vorstoß zwar nicht groß abgestimmt, die Union zieht aber mit. Führende Politiker von CDU und CSU stellen sich am Montag hinter Merz. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sagt, die Leistungsbezieher bräuchten ein Stück Sicherheit. Es gehe aber auch um „eine faire Balance zwischen denen, die Leistungen bekommen, und denen, die es mit ihren Steuermitteln bezahlen“.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte unserer Zeitung, die Union bringe einen Antrag in den Bundestag ein, „mit dem sich die Erhöhung der Regelsätze unabhängig vom vermurksten Ampel-Hartz-IV-Bürgergeld-Gesetz umsetzen lässt. Das ist unser Angebot an die Ampel, zum Januar die Geldleistung anzupassen und über den Rest zu verhandeln.“ Dobrindt bleibt bei der fundamentalen Kritik am Bürgergeld. Es hebe den Grundsatz des Forderns und Förderns auf und fördere Demotivation statt Arbeitsaufnahme. Außerdem, so Dobrindt, schaffe es „neue Anreize zur Einwanderung in unser Sozialsystem“.
Die Koalition wird überrascht von diesem Plan. Am Montag reagieren Sozialpolitiker von SPD, Grünen und FDP skeptisch. Man solle das Gesetz „nicht parzellieren“, heißt es dann. „Parteipolitische Spiele“ seien das. „Arbeitsmarktpolitisch zu kurz gesprungen“, findet Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai warnt, „wer sagt: Anhebung der Regelsätze ja, aber Strukturveränderung nein, der geht den falschen Weg“.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER