München – Heute entscheidet der Bundestag über den Gesetzentwurf zum neuen Bürgergeld als Nachfolger von Hartz IV. Der Ökonom Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte beim unternehmensnahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln), kritisiert die Pläne der Bundesregierung. Er plädiert dafür, Sanktionen beizubehalten, wenn Arbeitslose ein Jobangebot ablehnen.
Wer keine Arbeit hat, soll mehr Geld vom Staat bekommen und weniger Druck ausgesetzt sein. Sie kritisieren, dass im ersten halben Jahr keine Strafen mehr drohen. Warum?
Wer sich beispielsweise während der ersten sechs Monate weigert, eine angebotene Arbeitsstelle anzunehmen, soll nach dem Vorschlag der Bundesregierung nicht mehr sanktioniert werden. Das halte ich für ein falsches Signal. Damit entstünde der Eindruck, dass man sich im Bürgergeld-System in Ruhe einrichten, sich Zeit lassen kann. Dabei kommt es oft auf jeden Tag an, denn mit fortschreitender Arbeitslosigkeit verschlechtern sich die Chancen, einen neuen Job zu finden. Es geht nicht darum, die Leute zu bestrafen, sondern ihre Mitwirkung einzufordern.
Der Arbeitsminister argumentiert, er wolle die Arbeitslosen im ersten halben Jahr nicht bedrängen, sondern Vertrauen herstellen.
Die klare Erwartung der Jobcenter, dass die Leistungsempfänger sich selbst um einen Ausweg aus ihrer Lage bemühen, schwächt doch das Vertrauen nicht. Im Gegenteil: Transparente Forderungen und konsequente Reaktionen stärken das Vertrauen in die Institution.
Sie bemängeln, dass Empfänger des Bürgergelds zunächst in ihren großen Eigentumswohnungen – bis zu 140 Quadratmeter für zwei Personen – bleiben dürfen. Die allermeisten wohnen viel bescheidener.
Es geht nicht nur um Eigentum, sondern auch um Miete und Heizkosten, die der Staat bezahlt. Tatsächlich wohnen die meisten Arbeitslosen nicht in riesigen Wohnungen. Trotzdem stellt sich die Gerechtigkeitsfrage. Das Bürgergeld finanzieren ja alle Steuerzahler, die sehr oft selbst wenig Fläche zur Verfügung haben. Die fragen sich zu Recht, warum sie Leistungsempfängern große Wohnungen bezahlen sollen.
Sie sagen, die Bundesregierung wolle Hartz IV durch die „bedingungsarme Leistung“ des Bürgergelds ersetzen.
Die Bundesregierung will kein neues System einführen, kein bedingungsloses Grundeinkommen. Trotzdem handelt es sich um eine deutliche Veränderung – ein Stück weg von der solidarischen Hilfe, die durch Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet ist. Die Arbeitslosen sollten der Gemeinschaft weiterhin schulden, sich auch selbst um die Verbesserung ihrer Situation zu bemühen. Sonst gerät das System aus der Balance.
Das klingt, als müsse der Staat die Leute zwingen zu arbeiten, aus eigenem Antrieb würden sie sich in die soziale Hängematte legen.
Das stimmt nicht. Die meisten Menschen wollen arbeiten und kümmern sich selbstständig darum, aber einige brauchen auch Anstöße. Um sie zu aktivieren, muss der Staat Anreize setzen und Mitwirkung einfordern.
Als Hartz IV eingeführt wurde, war die Arbeitslosigkeit hoch. Heute ist sie niedrig, und die deutsche Wirtschaft ist trotz Krisen konkurrenzfähig. Können wir uns nicht etwas mehr Großzügigkeit leisten?
Die grundsätzlichen Mechanismen des Arbeitsmarktes haben sich nicht geändert. Hinzu kommt neuerdings der zunehmende Fachkräftemangel. Auch dieser spricht dafür, Anreize zu setzen, Arbeit aufzunehmen.
Interview: Hannes Koch