Moskau – Unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven ziehen sich Russlands Truppen aus der Hauptstadt und weiteren Teilen des besetzten Gebiets Cherson zurück. Verteidigungsminister Sergej Schoigu ordnete am Mittwoch die Räumung des rechten Ufers des Flusses Dnipro an. Seine Anordnung wurde im russischen Staatsfernsehen gezeigt. Mit dem Rückzug verliert Russland im Süden die Kontrolle über die noch einzige ukrainische Gebietshauptstadt.
„Das Leben und die Gesundheit der Soldaten der Russischen Föderation waren immer eine Priorität“, sagte Schoigu zur Begründung. Der neue Kommandeur der russischen Truppen in der Ukraine, Sergej Surowikin, berichtete von zuletzt heftigem Beschuss der Ukrainer auf die Stadt Cherson und umliegende Ortschaften. Surowikin versicherte, die russischen Truppen hatten die ukrainischen Angriffe erfolgreich abgewehrt und hätten der Gegenseite beträchtliche Verluste zugefügt. 9500 ukrainische Soldaten seien getötet oder verletzt worden. Die Verluste auf russischer Seite seien sieben bis acht Mal niedriger.
Russland hatte das Gebiet Cherson in den ersten Kriegswochen weitgehend besetzt und im September – ebenso wie die Regionen Saporischschja, Luhansk und Donezk – völkerrechtswidrig annektiert. Die Region Cherson ist von strategisch großer Bedeutung, weil sie an die 2014 von Moskau annektierte ukrainische Halbinsel Krim grenzt.
In den vergangenen Wochen gab es andauernde heftige Kämpfe. Mehrfach berichteten die Ukrainer von großen Zerstörungen und hohen Verlusten auf russischer Seite. Zuletzt rechneten auch russische Militärblogger mit einem baldigen Rückzug der eigenen Truppen aus der Stadt Cherson. Zudem brachten die russischen Besatzer eigenen Angaben zufolge bislang rund 115 000 Zivilisten aus der Stadt Cherson weg.
Ein weiteres Anzeichen für die unübersichtliche Lage in Cherson ist auch der Tod eines hochrangigen Behördenvertreters. Der von Moskau eingesetzte stellvertretende Regionalchef Kirill Stremussow kam nach offiziellen Angaben bei einem Verkehrsunfall ums Leben, wie es am Mittwoch hieß.
Ein neues Gesprächsangebot Moskaus wies Kiew erneut zurück. Russland beginne „Gesprächsangebote immer dann zu unterbreiten, wenn die russischen Truppen Niederlagen auf dem Schlachtfeld erleiden“, erklärte Außenamtssprecher Oleh Nikolenko. Derweil rückte die Ukraine eigenen Angaben weiter vor. Die Ortschaften Prawdino und Kalinowskoje seien befreit worden. Die südukrainische Stadt Kriwyj Rih sei dagegen von zahlreichen russischen Kassettenbomben mit Streumunition getroffen worden.