Noch ist es zu früh für allzu große Friedenshoffnungen: Dem Rückzug aus Cherson könnte eine neue, umso brutalere russische Offensive im Frühjahr folgen. Vom auch innenpolitisch zunehmend angeschlagenen russischen Präsidenten gibt es nach wie vor keinerlei Signale, dass dem Rückzug aus Cherson ein genereller Abzug aus der Ukraine folgen könnte.
Und auch auf der ukrainischen Seite, die zu Beginn der russischen Invasion gesprächsbereit war, gibt es in einer Phase des militärischen Erfolgs wenig Bereitschaft, zu verhandeln: Warum auch sollte Präsident Wolodymyr Selenskyj Teile seines Landes an ein Russland in der Defensive abgeben? Aber die derzeit für die Ukraine so positive Lage könnte sich schnell wieder wenden. Zudem wird der Terror der russischen Seite gegen die ukrainische Energie- und Wasserversorgung im Winter für grenzenloses Leid in der Zivilbevölkerung sorgen.
Es gibt deshalb auch für Kiew durchaus gute Gründe, diesen Moment der Stärke für einen Anlauf zu nutzen, Gespräche über ein Ende dieses Krieges zu suchen. Der US-General Mark Milley sieht jetzt die Chance für Friedensverhandlungen gekommen. Wenn einer der wichtigsten US-Militärs sagt, dass weder die Ukraine noch Russland militärisch siegen können, hat das sicher mehr Gewicht, als wenn deutsche Talkshow-Philosophen wie Richard David Precht über Friedensgespräche sinnieren.
Klaus.Rimpel@ovb.net