München – „Es ist überraschend laut geworden hier im Plenarsaal“, fasst die Fernsehsprecherin die aktuelle Debatte im Bundestag zusammen. Während der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Helge Limburg, redet, gibt es immer wieder laute Zwischenrufe. „Falsch. Einfach falsch!“, ruft Andrea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Am Ende des Redebeitrags ist Lindholz so außer sich, dass sie das rot-weiße „Kürschners Volkshandbuch“ offen vor sich auf den Tisch knallt.
Das Streitthema, das die Gemüter gestern im Bundestag so erhitzt: Härtere Strafen für „Straßenblockierer und Museumsrandalierer“ – ein Unionsantrag. In der Debatte um den Antrag lehnen die Ampel-Parteien geschlossen den Vorschlag der Union ab und verurteilen gleichzeitig das radikale Vorgehen der Klimaaktivisten. Der Tenor durch die Bank: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Doch den Vorschlag der Union, den Strafrahmen für gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und die mutwillige Beschädigung von Kunstwerken anzuheben, findet bei FDP, SPD und Grünen keine Mehrheit. „Vertrauen wir doch dem Rechtsstaat, vertrauen wir der Justiz und unterstellen ihr nicht dauernd – wie die Union das tut –, dass sie zu milde Sanktionen verhängen würde“, schmettert Limburg den Oppositionspolitikern vor ihm entgegen.
Die Debatte steht stellvertretend für nur eines der Konfliktthemen zwischen der Ampel und der Union. So könnte etwa der Ruf nach „Konsequenz, kein Aktionismus“ von Katrin Helling-Plahr (FDP) auch als grundsätzliche Kritik an der Union verstanden werden. Ebenso die Botschaft von Robin Mesarosch (SPD): „Liebe CDU, Sie bekämpfen nicht das Chaos, Sie schaffen das Chaos.“
Beim geplanten Bürgergeld zum Beispiel liefern sich die Regierungsparteien und die Union seit Tagen hitzige Wortgefechte – zuletzt vor der Schlussabstimmung gestern im Bundestag. Zwar bringt der Bundestag – mittels der Zustimmung der Ampel-Koalition – die Reform auf den Weg, doch die Union könnte das Vorhaben noch ausbremsen. Denn: Im Bundesrat ist eine Zustimmung von CDU/CSU nötig, die bereits mit Blockade droht. Einen ersten Kompromiss-Vorschlag wies Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) bereits ab. Bei den Regierungsparteien sorgt das für großes Unverständnis.
Der Ton vor allem bei den Sozialdemokraten – denen das neue Bürgergeld besonders am politischen Herzen liegt – wird immer rauer. SPD-Chef Lars Klingbeil vergleicht das Vorgehen der Union mit dem des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wirft der Union vor, „bewusst falsche Zahlen und Lügen“ zu verbreiten. Besonders ins Visier seiner Kritik gerät dabei der CDU-Vorsitzende: „Unter Merz ist die CDU zu einer Partei geworden, die parteitaktische Spielchen über gesellschaftlichen Zusammenhalt stellt“, urteilt Kühnert.
Eine Opposition ist ein fester Bestandteil einer jeden Demokratie. Auch die Blockade beim Bürgergeld oder die geforderten härteren Strafen für Klimaprotestler sind der klassischen Oppositionsarbeit zuzuordnen. Was die Ampel aber fordert, ist mehr konstruktive Kritik statt Blockaden. Merz weist solche Vorwürfe zurück. Die Union werde aus der Ampel „immer wieder aufgefordert, konstruktive Opposition zu sein“. Der Bürgergeld-Vorschlag seiner Fraktion, zunächst nur die Regelsätze für Bezieher von Grundsicherung zum Jahreswechsel zu erhöhen, sei sehr wohl konstruktiv. Er sieht sich also am längeren Hebel.
Die jüngsten Debatten sind nicht die einzigen, in denen sich die Ampel unzufrieden mit der Oppositionsarbeit zeigt. Erst im Oktober wetterte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei einer Debatte um die Gas-Umlage gegen die „Muss-weg-Opposition“. Die Union solle wenigstens die Wahrheit sagen, wenn sie sich schon entschieden habe, „eine nicht konstruktive Opposition zu sein“.
Der nicht ganz uneigennützige Appell dient wohl dazu, die Opposition ins Boot zu holen. Mit Blick in die USA keine schlechte Idee: Dort wird deutlich, wohin ein Land steuern kann, wenn die Opposition zum Gegner statt zum Kontrolleur der Regierung geworden ist. Das Ergebnis: Eine tief gespaltene politische Landschaft.