München – Nach dem Raketenunglück im Osten Polens ist inzwischen klar: Es war kein russischer Angriff, sondern eine verirrte Flugabwehrrakete. Dennoch hat der Vorfall vom Dienstag Ängste geweckt, sagt Paul Ziemiak, 37. Wir haben mit dem im polnischen Stettin geborenen CDU-Politiker darüber gesprochen.
Herr Ziemiak, kurz schien es so, als greife Russland Nato-Gebiet an. Das war ein richtiger Angst-Moment, oder?
Ich glaube, wir standen alle ein Stück weit unter Schock. Und gleichzeitig war für alle, die vernünftig sind, klar: Wir müssen jetzt unbedingt einen kühlen Kopf bewahren. Um klar zu sein: Wir brauchen die kühlsten der kühlen Köpfe, um so eine Situation richtig zu bewerten.
Die EU, die Nato, die polnische Regierung sind zum Glück ruhig geblieben…
Gerade die polnische Regierung hat sehr besonnen reagiert und das getan, was ein Rechtsstaat tun soll: Die Staatsanwaltschaft mit der Untersuchung beauftragt, die Partner konsultiert und um Aufklärung der Staaten gebeten, die dafür verantwortlich sein könnten, statt sofort eine politische Eskalation herbeizuführen, die in einer militärischen enden könnte.
Was sagen Ihnen Ihre politischen Freunde in Polen, was die Familie?
Zum Glück musste ich nicht in Sorge sein, weil ich dort, wo die Rakete einschlug, keine Verwandten habe. Wir haben uns trotzdem über die Situation ausgetauscht. Und natürlich habe ich meine politischen Kontakte in der polnischen Regierung konsultiert. Die haben mir sofort signalisiert, dass man erst mal abwarten muss.
Sie kennen das Land gut. Wie würden Sie die Gefühlslage bei unseren Nachbarn beschreiben?
Wenn man sieht, wie nah der russische Krieg an die polnisch-ukrainische Grenze heranreicht, dann ist jedem Polen, jeder Polin klar, dass so ein Vorfall im Bereich des Möglichen ist und sich auch wiederholen kann. Sie müssen sehen: In Polen gibt es eine ganz andere Angst vor dem Krieg als hier. Als gestern die Meldung kam, war mir sofort klar, was das in den Köpfen der Menschen auslöst.
Nämlich?
Es gibt mindestens zwei Sichtweisen auf die Dinge in der polnischen Bevölkerung. Einerseits sind da die jungen Menschen, die sehr darauf vertrauen, dass es nicht zu einer Eskalation kommt, weil sie auf die Nato und die EU vertrauen. Aber andererseits gibt es viele Ältere, die den Krieg noch kennen und die Angst haben, dass er zurückkommt. Sie halten das nicht für ausgeschlossen.
Was verändert dieser Vorfall aus Ihrer Sicht?
Die Sache hat uns allen vor Augen geführt, dass das Undenkbare tatsächlich möglich ist. Wir haben am Dienstag für eine kurze Zeit gespürt, dass so ein Vorfall eine absolute Eskalation herbeiführen könnte, wenn nicht alle Seiten völlig besonnen sind. Noch mal ganz klar: Man muss der polnischen Regierung dafür danken.
Braucht es Konsequenzen?
Da ändert sich wenig. Russland muss das sinnlose Töten von Menschen einstellen, der Krieg muss enden, der Beschuss der polnischen Grenzregion muss enden. Wir sehen doch, wie nahe eine weitere Eskalation ist, und wir dürfen uns nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es schlimmer nicht kommen kann. Doch, es kann!
Interview: Marcus Mäckler