Katerstimmung nach dem Gipfel

von Redaktion

VON MARTINA HERZOG

Scharm el Scheich – Auf dem Höhepunkt der Spannung ist die Atmosphäre besonders trist. Verrammelte Burger-Stände, leere Konferenzräume und dazwischen übernächtigte Politiker, die bis zur letzten Minute ausharren wollen, prägen das Bild. Es mag jetzt um alles gehen bei der Weltklimakonferenz in Ägypten, doch der bis dahin wuselige Tagungsort ist weitgehend zur Geisterstadt geworden. Mit einem Minimum an Infrastruktur verhandeln die Vertreter von knapp 200 Staaten bis zum Sonntagmorgen über die Eindämmung der gefährlichen Erderwärmung und Hilfen für Länder, die von ihren Folgen am härtesten getroffen werden.

Fast 40 Stunden länger als geplant dauert der Gipfel am Ende. Zu anspruchsvoll ist das Ziel, das UN-Chef Antonio Guterres den Teilnehmern mit markigen Worten ins Gedächtnis gehämmert hat: Man müsse runter vom „Highway zur Klima-Hölle“, auf dem die Welt unterwegs sei – mit dem Fuß auf dem durchgedrückten Gaspedal.

Es ist dann aber beileibe keine Vollbremsung, die die Weltgemeinschaft in Scharm el Scheich hinlegt. Am vielversprechendsten klingt noch die Ankündigung, einen Finanztopf für besonders vom Klimawandel betroffene arme Staaten einzurichten. Ein Meilenstein ist dieses Projekt aber auch nicht, solange es nicht mit konkreten Inhalten – vor allem der finanziellen Ausstattung – gefüllt ist.

Die Entwicklungsorganisation Care spricht zwar von einem „historischen Schritt“, bemängelt aber, dass wesentliche Fragen erst 2023 ausgearbeitet werden. Ungeklärt ist auch, wer überhaupt einzahlen muss. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagt: „Dazu gehören vor allem die größten Emittenten USA, China und natürlich auch die EU.“

Das ist bei dieser Konferenz nicht das einzige Ergebnis, das gemischte Gefühle hinterlässt – und zuweilen heftiges Kopfschütteln auslöst. So bekräftigen die Staaten ihre im Vorjahr in Glasgow getroffene Entscheidung, schrittweise aus der Kohle auszusteigen. Ein Abschied von Öl und Gas wird aber nicht erwähnt – was etliche Staaten gefordert hatten, darunter Indien, die EU und auch die USA. Einige wenige Staaten leisteten „erbitterten Widerstand“, wie Außenministerin Annalena Baerbock berichtet. Das sei „mehr als frustrierend“.

Nicht aufgegriffen wird auch die Forderung der EU, dass vor 2025 der Höchststand der Treibhausgasemissionen weltweit erreicht sein muss. Der deutsche Greenpeace-Chef Martin Kaiser nennt es einen Skandal, dass die ägyptische Konferenzleitung Öl-Staaten wie Saudi-Arabien Raum geboten habe, „jeden wirksamen Klimaschutz zu torpedieren“. Oxfam-Experte Jan Kowalzig spricht von einem „deprimierenden Ergebnis“.

Erstmals findet sich auch die Forderung nach einem Ausbau der erneuerbaren Energien in einem Abschlussdokument. Weil aber bei dem künftigen Mix von „emissionsarmen“ Energieträgern die Rede ist, fürchtet der EU-Parlamentarier Michael Bloss (Grüne), dies könne als „Einfallstor für Atomkraft und Gas“ missbraucht werden.

Frühere Versäumnisse holen die Industrienationen wieder ein. 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz und Klimaanpassung sollten sie eigentlich seit 2020 jährlich verbindlich an arme Länder zahlen. Bis heute sind sie das Geld zu einem großen Teil schuldig geblieben. In der Abschlusserklärung fehlt zudem ein klarer Plan, ob und bis wann nachgezahlt werden muss. Ebenfalls fehlt der – in ersten Entwürfen noch enthaltene – Auftrag für einen Fahrplan, wie und wann die reichen Staaten ihre Hilfen zur Anpassung an den Klimawandel für ärmere Staaten verdoppeln, von derzeit 20 auf 40 Milliarden US-Dollar.

Nicht nur in der deutschen Delegation macht sich am Ende Ernüchterung breit. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen macht aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl. Sie beklagt das fehlende Bekenntnis, fossile Brennstoffe schrittweise abzubauen, und verbucht den Ausgleichsfonds für ärmere Länder als fast schon einzigen Erfolg. „Ein kleiner Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit“ sei getan, mehr nicht. „Wir haben ein paar Symptome behandelt, aber den Patienten nicht von seinem Fieber geheilt.“

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