Gericht: Corona-Kurs war zu hart

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH

München/Leipzig – „Nein, ein Buch auf einer Bank lesen ist nicht erlaubt.“ So lautete im April 2020 die Auskunft der Polizei München auf eine entsprechende Frage eines Twitter-Nutzers. Und auch wenn Innenminister Joachim Herrmann (CSU) das wenig später wieder einfing („es spricht überhaupt nichts dagegen“) , ist der Vorfall zum Sinnbild für die harten bayerischen Corona-Maßnahmen im ersten Jahr der Pandemie geworden. Zu harte Maßnahmen, wie das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat.

Mit dem Urteil bestätigt der Dritte Senat in Leipzig einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs von Oktober 2021 und weist die Revision der bayerischen Staatsregierung zurück. Es geht dabei vor allem um die Auflage, dass das Verlassen der Wohnung vom 31. März bis zum 19. April 2020 in Bayern nur dann erlaubt war, wenn triftige Gründe vorlagen. Dem Gericht zufolge hätte die Staatsregierung andere Wege finden müssen. „Als mildere Maßnahme kamen hier Beschränkungen des Kontakts im öffentlichen und privaten Raum in Betracht, mit denen das Verweilen im Freien allein oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstandes nicht untersagt worden wäre“, urteilt die Vorsitzende Richterin Renate Philipp. Diese hätten die Menschen weniger belastet als eine Ausgangsbeschränkung. Es sei zwar das Verlassen der Wohnung für Sport und Bewegung erlaubt gewesen, aber eben – zumindest zunächst – nicht für bloßes Verweilen an der frischen Luft, um etwa auf einer Bank ein Buch zu lesen. „Das ganztägig und damit auch während der Tagstunden geltende Verbot, die eigene Wohnung zum Verweilen im Freien zu verlassen, war ein schwerer Eingriff in die Grundrechte der Menschen“, führt Philipp aus. Und: „Für die Verhältnismäßigkeit hätte vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof plausibel dargelegt werden müssen, dass es über eine Kontaktbeschränkung hinaus einen erheblichen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten konnte, physische Kontakte zu reduzieren und dadurch die Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern.“ Doch daran habe es gefehlt.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU und damals noch nicht im Amt) zeigt sich am Dienstag dennoch überzeugt, dass die Ausgangsbeschränkungen „zum Wohl und zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Bayerns aus damaliger Sicht ein wirksames und richtiges Mittel waren“. Daran ändere sich nichts, wenn rückblickend Gerichte zu einer anderen Einschätzung kommen. Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie sei auch „juristisch oft Neuland betreten“ worden.

Scharfe Kritik kommt aus der Opposition. „Die CSU hat in der Corona-Politik jedes Augenmaß vermissen lassen“, erklärt FDP-Fraktionschef Martin Hagen. Und SPD- Fraktionschef Florian von Brunn sagt, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) habe „die Bayerinnen und Bayern ohne ausreichenden Grund und rechtswidig eingesperrt“. Im März 2020 hatten die Sozialdemokraten die Ausgangsbeschränkungen allerdings zunächst noch selbst mit unterstützt.

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