Berlin/München – Am Morgen danach verkneifen sich die Beteiligten weitgehend das Triumphgeheul. Die Unionsleute treten mit zerfurchten Gesichtern vor die Kameras. Dass „die Augenringe etwas tiefer sind“, krächzt etwa Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU). Der Kanzler merkt nach der langen Nacht an, dass nun Regierung wie Opposition zufrieden seien. „Und dann ist ja alles o.k.“, sagt Olaf Scholz (SPD).
Wer hätte das gedacht: Aus dem erbitterten Streit um das größte sozialpolitische Projekt der neuen Bundesregierung gehen Ampel wie Union erschöpft, aber zufrieden heraus. Im Vermittlungsverfahren – oder eher in diskreten Nebenrunden – haben sich beide Seiten geeinigt, das Bürgergeld eilig in Kraft treten zu lassen. Im Kern: Es wird mehr Geld für Arbeitslose geben, der Begriff „Hartz IV“ fällt, aber die Regeln werden strenger, als von SPD und Grünen zunächst geplant. Wer nicht arbeiten will, wer Termine vertrödelt, wird von Anfang an bestraft.
Das war ja ein zentraler Teil der Unions-Kritik: zu viel fördern, zu wenig fordern. „Wir müssen aktivieren, nicht alimentieren“, sagt CSU-Ministerin Scharf am Dienstag. „Der Sozialstaat ist wesentlich mehr, als nur Leistungen auszuweiten. Sozialstaat heißt auch, Anreize für Leistungswillige zu setzen.“
Neuer Kompromissplan: Es soll ab dem ersten Tag Sanktionen in Form von Leistungsentzug geben können – ohne Ausnahmen. Die von der Ampel vorgesehene „Vertrauenszeit“ von sechs Monaten, in der es etwa bei Pflichtverletzungen keine Leistungsminderungen geben sollte, ist ganz vom Tisch. Die Leistungen werden im ersten Monat um 10 Prozent gekürzt, im zweiten Monat um weitere 10 Prozent und ab dem dritten Monat der Mitwirkungsverweigerung um 30 Prozent. Die Karenzzeit mit milderen Regelungen, ursprünglich für 24 Monate angesetzt, soll nur noch 12 Monate betragen. Da geht es auch um die angemessene Wohnungsgröße.
Auch beim Schonvermögen werden die Pläne verschärft. Die Union setzte nach eigenen Angaben eine Kürzung von 60 000 Euro auf 40 000 Euro durch, bei weiteren Personen im Haushalt von 30 000 auf 15 000 Euro. Die großzügigeren Zuverdienstgrenzen während des Bürgergeldbezugs – etwa für betroffene Jugendliche, die nebenbei jobben – sollen bestehen bleiben. Darauf hatte vor allem die FDP gepocht. Die Regelsätze für alle werden wie geplant um gut 50 Euro steigen, und das möglichst auch ab Januar.
Das Paket geht nun heute formal an den Vermittlungsausschuss. Der Dissens zwischen Bundestag (Ampel-Mehrheit) und Bundesrat (Veto durch Unionsländer) wird damit am Abend wohl aufgelöst; nur die extremen Ränder sind noch dagegen. Zuletzt brachten zwei Nachtsitzungen bis ein Uhr morgens in Berlin den Durchbruch, berichten Teilnehmer. Regierung wie Opposition können das Ergebnis gesichtswahrend präsentieren.
Das Bürgergeld kommt, es heißt auch Bürgergeld, so der Tenor von SPD, Grünen und FDP. Man könne „eine ganz große Sozialreform beschließen“, die über Jahrzehnte gelte, sagt Kanzler Scholz. Mit den erzwungenen Änderungen verliere die Reform aber ihren Kern, sagt hingegen CDU-Fraktionschef Friedrich Merz. Sie sei kein Einstieg mehr in das bedingungslose Grundeinkommen.
Merz lässt noch fallen, er sei „überrascht“, wie weitreichend die Ampel zu Kompromissen bereit war. Intern ist zu hören, dass da öffentlicher Umfrage-Druck eine Rolle spielte – und die FDP. In den letzten Tagen hatten mehrere Liberale in einer konzertierten Aktion öffentlich Korrekturen bei den Sanktionen angemahnt. Ein gutes Gesetz werde nun „noch besser“, heißt es aus der FDP. (mit afp)