München – Nein, Nancy Faeser hat gerade keinen Lauf. Es begann letzte Woche, als sie nonchalant sagte, hierzulande gebe es „keine große Migrationskrise“, und dabei all die Warnungen aus Ländern und Kommunen übersah. Tags darauf fehlte sie beim Brüsseler Krisentreffen zur Migration, wohl aus Termingründen, aber es wirkte so, als ignoriere die Ministerin ein wachsendes Problem. Nun ist Faeser wieder Fixpunkt der Kritik – innerhalb der Ampel.
Anlass ist die geplante Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Im Kern soll, wer dauerhaft legal hier lebt, schneller einen deutschen Pass bekommen als bisher. Die Union zürnt seit Tagen, warnt vor Einwanderung in Sozialsysteme (Friedrich Merz) und davor, die deutsche Staatsbürgerschaft zu „verramschen“ (Alexander Dobrindt). So weit, so vorhersehbar. Nun hat aber auch die FDP Zweifel.
„Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für eine Vereinfachung des Staatsbürgerschaftsrechts“, sagte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der „Rheinischen Post“. Auch der Abgeordneten Marie Agnes Strack-Zimmermann geht die Reform zu schnell. Deutet sich der nächste Ampel-Zoff an? Der Streit um die Atomkraft ist noch nicht lange her, er endete erst nach Wochen mit einem Kanzler-Machtwort. Olaf Scholz reagierte diesmal lieber gleich: In einer Videobotschaft würdigte er die Leistungen der Gastarbeiter-Generation für Deutschland.
Auch um sie geht es in Faesers 39-seitigem Gesetzentwurf, aber nicht nur:
. Einwanderer sollen künftig schon nach fünf statt acht Jahren einen Pass erhalten können. Bei „besonderen Integrationsleistungen“ (sehr gute Sprachkenntnisse, Top-Leistungen im Beruf) verkürzt sich die Zeit auf drei Jahre.
. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern sollen „vorbehaltlos“ die Staatsbürgerschaft bekommen, sofern Mutter oder Vater mehr als fünf Jahre legal in Deutschland leben. . Der Doppel-Pass soll nicht mehr vermieden, sondern akzeptiert werden. Einwanderer seien nicht mehr gezwungen, einen Teil ihrer Identität aufzugeben, schrieb Faeser in einem Beitrag für den „Tagesspiegel“.
. Erleichterungen gibt es für alle ehemaligen Gastarbeiter, die älter als 67 sind: Sie sollen weder einen Einbürgerungstest noch einen schriftlichen Sprachnachweis vorlegen müssen.
. Nicht eingebürgert werden laut Gesetzentwurf etwa Männer, die mit mehreren Frauen verheiratet sind, und Antragsteller, die die Scharia dem deutschen Recht vorziehen. Sicherheitsbehörden sollen stärker befragt werden, damit weder Terroristen noch Islamisten eingebürgert werden.
Als Reaktion auf die FDP-Kritik verwies das Innenministerium am Montag auf den Koalitionsvertrag, in dem die Erleichterungen festgehalten sind. FDP-General Djir-Sarai beeindruckte das nicht. Die Verleihung der Staatsangehörigkeit sei das Ergebnis gelungener Integration, nicht deren Anfang, sagte er. Eine Entwertung werde es mit den Liberalen nicht geben.
Interessant: Die FDP knüpft ihre Kritik an Defizite bei Abschiebungen und illegaler Migration: Bevor sie an der einen Stelle Erleichterungen einführe, solle Faeser dafür sorgen, dass „die, die hier illegal sind, die möglicherweise auch gesetzlich aufgefallen sind, dass die erst mal ordentlich zurückgeführt werden“, sagte Strack-Zimmermann. Manche vermuten, dass die FDP sich mal wieder von rot-grünen Prioritäten übergangen fühlt. Auffällig ist indes die Einigkeit mit der Union, die auch effektivere Abschiebungen fordert. „Wo bleibt die seit einem Jahr angekündigte Rückführungsoffensive?“, fragte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in München.
In Faesers Ministerium ist man optimistisch, die Ministerin nannte die Reform zuletzt „überfällig“. Morgen soll der Entwurf dem Kabinett vorgelegt werden, es braucht dann Einigkeit mit der FDP. Darum schießt Faeser gestern auch einzig gegen die Union. „Sie muss endlich im 21. Jahrhundert ankommen.“ mit dpa