München/Berlin – „Deutschland ist ein Einwanderungsland.“ Fast wortgleich äußerten sich gestern Andrea Nahles, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit und einstige SPD-Vorsitzende, und die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. Mit dieser kommunikativen Stoßrichtung ebnen die beiden Frauen den Weg für ein neues Ampel-Vorhaben: Mit Einwanderung gegen den Fachkräftemangel in Deutschland. So wollen SPD, Grüne und FDP künftig die Wirtschaft unterstützen. Helfen soll ein spezielles Punktesystem für die Einwanderung nach Deutschland. Das Vorbild: Kanada.
Insgesamt 400 000 zusätzliche Arbeits- und Fachkräfte braucht Deutschland im Jahr, erklärte Nahles in der „SZ“. Doch ausländische Arbeitskräfte hätten in Deutschland noch immer vergleichsweise hohe Hürden zu bewältigen. Das soll sich jetzt ändern.
„Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten“ ist der etwas sperrige Name des Papiers, das das Bundeskabinett heute beschließen will. Anerkannte ausländische Fachkräfte sollen damit gestärkt werden und in Deutschland ausgebildete Menschen künftig bleiben dürfen. Unter bestimmten Voraussetzungen soll es auch möglich sein, dass qualifizierten Ausländern ohne vorherige formale Anerkennung ihres Abschlusses eine Erwerbszuwanderung ermöglicht wird.
Alle anderen Bewerber werden über ein Punktesystem erfasst. „Wir werden auf Grundlage eines transparenten unbürokratischen Punktesystems eine Chancenkarte zur Arbeitsplatzsuche einführen“, heißt es in dem Eckpunktepapier. Damit sollen Fachkräfte künftig auch ohne Arbeitsvertrag nach Deutschland einreisen dürfen – wenn sie qualifiziert sind. Konkret beinhaltet dieses Punktesystem Kriterien wie Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter. Ausländer „mit gutem Potenzial“ können damit bewertet und ihr Aufenthalt in Deutschland ermöglicht werden.
In Kanada werden potenzielle Einwanderer bereits seit Jahren nach so einem Punktesystem beurteilt. Insgesamt 100 Punkte kann ein Anwärter dort erreichen. Mit der jeweiligen Ausbildung können maximal 25 Punkte erreicht werden. Gefolgt von 24 Punkten, die man durch Sprachkenntnisse in Englisch oder Französisch bekommen kann. Die Berufserfahrung bringt bis zu 21 Punkte ein. Das Alter, das Arbeitsverhältnis und die Anpassungsfähigkeit werden mit jeweils zehn Punkten bewertet. Ab insgesamt 67 Punkten wird eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt. Wie genau die Punkte in Deutschland vergeben werden könnten, steht aber noch nicht fest.
Die Union lehnt ein solches Punktesystem derweil ab. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), kritisierte gestern: 2019 hätten Union und SPD die Zuwanderung an einen vorhandenen Arbeitsplatz geknüpft. Davon gehe das geplante Punktesystem aber nicht aus.
Ohnehin positioniert sich die Union weiterhin gegen eine beschleunigte Einwanderung und die damit verbundene Reform des Staatsbürgerschaftsrechts (wir berichteten). Frei warnte gestern im Tenor seiner Parteikollegen davor, „dass man flächendeckend mit dem deutschen Pass um sich wirft“.
Von der Wirtschaft hingegen kommen unterstützende Signale. Monika Schnitzer, Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, sieht in einer erleichterten Einbürgerung eine Stärkung der Integration und der Bundesverband mittelständische Wirtschaft einen Standortvorteil für Deutschland. (mit dpa)