Iran: Ende der Sittenpolizei

Das System bröckelt

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

Hätte es eines Zeichens dafür bedurft, wie nervös das iranische Regime ist: Das Ende der Sittenpolizei wäre es gewesen. Aus Sicht der Mullahs ist das ein großer Schritt. Er zeugt aber nicht von Einsicht oder Reue für den gewaltsamen Tod Mahsa Aminis, sondern allein von der Angst, von den Protesten einer nach Atem ringenden jungen Bevölkerung weggespült zu werden. Hier versucht eine sterbende Theokratie, ihr Überleben zu verlängern. Gut möglich, dass sie den richtigen Zeitpunkt dafür verpasst hat.

Vielleicht hätte die Abschaffung der schikanösen Moral-Behörde den Protest zu Beginn einhegen können. Aber das Regime versuchte zu lange, alte Reflexe zu bedienen. Erst reagierte es gar nicht, dann schob es die Schuld an den Demonstrationen auf den verdorbenen Westen. Die Masche funktionierte in der Vergangenheit, jetzt nicht mehr. Diesmal geht es den Demonstranten nicht um eine partielle Verbesserung, nicht um hohe Lebensmittel- oder Spritpreise. Es geht um das Fundament eines auf religiösem Fanatismus errichteten Herrschaftssystems, das die Bedürfnisse der Bevölkerung zu lange ignoriert hat.

Nichts ist vorhersehbar, aber die Menschen im Iran haben schon zu viel geopfert, um sich mit einem zu späten, zu kleinen Zugeständnis kaufen zu lassen – zumal es ja denkbar ist, dass die Sitten-Kontrolle künftig einfach von anderen Polizei-Einheiten übernommen wird. Eher werden sie die Entwicklung als Zeichen dafür sehen, dass das System bröckelt. Viele werden sagen: Das war nur der Anfang.

Marcus.Maeckler@ovb.net

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