Berlin – Die schöne Internet-Welt hat für Politiker eine große Komfortzone: Um mal unwidersprochen Eigenlob in eine Kamera zu erzählen, können sie ihre eigenen Video-Formate nutzen. In diesem Fall wählt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den steuerfinanzierten Weg seiner wöchentlichen Videobotschaft aus dem Kanzleramt. Er zieht in dem PR-Kanal (den auch schon die noch medienscheuere Angela Merkel nutzte) eine Positiv-Bilanz des ersten Regierungsjahres.
Scholz’ zentrale Aussagen: Geprägt worden sei das Jahr „zuallererst von Russlands brutalem Krieg gegen die Ukraine. Die Aufgaben, die sich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stellen, die haben wir darüber aber nicht vernachlässigt“. Die Entlastungspakete seiner Regierung summierten sich auf fast 100 Milliarden Euro, sagt Scholz. Und man habe 200 Milliarden mobilisiert, um 2022 bis 2024 Strompreise, Gaspreise und Fernwärmepreise zu dämpfen. Scholz listet in seinem Filmchen eine Reihe von Taten auf: das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro sowie Erhöhungen von Kinder- und Wohngeld. Zudem nennt er den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Bau von Flüssiggasterminals an der Küste. Das sei doch eine „gute Grundlage“ für die Zukunft.
Am 8. Dezember jährt sich der Amtseid des Kanzlers. Viele Journalisten sehen die Zwischenbilanz etwas anders. Er „redet sich das erste Jahr schön“, spottet der „Spiegel“, vom „Ampel-Absturz“ titelt „Bild“. Auffällig ist: Es gibt immer wieder Ärger zwischen den Koalitionspartnern SPD, Grüne und FDP. Einmal schon musste Scholz – ein seltener Vorgang – von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen, in diesem Fall ging es um die Kernenergie. Mehr Zwischentöne sind bei anderen Koalitionären eher rauszuhören. „Die verschachtelten Krisen haben alle Leichtigkeit überrollt“, sagt etwa FDP-Chef Christian Lindner dem „Focus“. Etwa auf die 200 Milliarden Euro zusätzliche Schulden sei er gewiss nicht stolz. „Aber sie sind für die Strom- und Gaspreisbremse nötig.“
Ebenfalls wenig überraschend: Das Fazit der Opposition fällt vernichtend aus. „Die Ampel hat bislang kein gemeinsames Projekt entwickelt. Der Machterhalt ist der Kitt, der diese Regierung zusammenhält, und statt Vernunft regiert die Ideologie“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der „Bild am Sonntag“. „Wenn man Streit benoten würde, hätte die Ampel sogar eine 2 verdient.“ Für die Regierungsarbeit aber „leider eine glatte 5“. Es sei etwa bei der Energiepreisbremse „jetzt auch nicht alles falsch, aber einiges fehlt“. Etwa ein Preisdämpfer bei Öl und Pellets, und schnellere Entlastungen als bisher geplant.
In den Umfragen tun sich SPD, Grüne und FDP nach dem ersten gemeinsamen Jahr weiter schwer. Im Infratest-Sonntagstrend des Instituts für die „BamS“ kommen die drei Regierungsparteien zusammen nur noch auf 44 Prozent (SPD: 20; Grüne 17, FDP 7). Die Union liegt in der sogenannten Sonntagsfrage bei 28, gefolgt von der ebenfalls deutlich angewachsenen AfD (15). afp/cd/dpa