Einsam dreht sich das Windrad

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

Wiesenfelden – Es nieselt und nebelt so sehr an diesem Morgen, dass der 200-Meter-Koloss, den sie hier mitten ins niederbayerische Nirgendwo gepflanzt haben, kaum zu erkennen ist. „Na, so richtig sehen tut man es ja nicht“, sagt Markus Söder, dreht sich wieder zu den fröstelnden Gästen um und murmelt dann gut hörbar: „Aber ist bestimmt super schön.“ Er klingt fast ein bisschen enttäuscht.

Der Ministerpräsident hat Hut und Wanderstiefel angezogen und ist extra aus München angereist: drei Autobahnen, Landstraße, vorbei am Naturschutzgebiet „Hölle“, dann ein Stück holprig-schlammigen Forstweg – bis hierher ins Herz des Waxenberger Forsts im Kreis Straubing-Bogen. Mit dabei: Wirtschaftsminister Aiwanger, Umweltminister Glauber, örtliche Landtagsabgeordnete; auch der Landrat und der Bürgermeister von Wiesenfelden sind gekommen. Sie alle stehen jetzt in Matsch und Nebel, um ein unsichtbares Windrad in Betrieb zu nehmen. Ja genau, ein Windrad.

Man kann das amüsant finden, andererseits hat so eine neue Anlage in Bayern einen unbestreitbaren Neuigkeitswert. Lange galt der Freistaat als windkraftfeindlich, was besonders an der 10H-Regel, aber auch an Bürokratie und etlichen Verbandsklagen lag. All das brachte den Bau neuer Anlagen quasi zum Erliegen. 2022 gingen nur sechs Windräder in Betrieb, die im Waxenberger Forst mitgezählt.

Das ist nicht viel für ein Flächenland, das unabhängig von Russland und außerdem klimaneutral werden will. Söder entgegnet darauf gern, Bayern sei dafür halt bei allen anderen Erneuerbaren Energien führend. Er sagt das auch am Montag, gibt aber zusätzlich ein neues Ziel aus: „Wir wollen zum führenden Onshore-Land werden.“ Will heißen: Nirgendwo sollen mehr Windräder auf dem Festland stehen als in Bayern.

Auch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger macht Versprechungen und kündigt einen „Windkraftboom“ an. Die Anfragen auch aus der Wirtschaft seien enorm. Er gehe „von Projektvorhaben mit insgesamt über 1000 neuen Windrädern in den nächsten fünf Jahren aus“, sagt er vor dem Forst-Termin. Das wäre eine Verdoppelung des Ist-Zustands. Aktuell sind im Freistaat 1136 Windräder im Einsatz. Auch Söder spricht von bis zu 1000 Anlagen.

Noch sind das leere Worte im beginnenden Wahlkampf, allerdings tut sich etwas. Das neue Wind-an-Land-Gesetz der Bundesregierung zwingt die Länder dazu, zwei Prozent ihrer Flächen für Windräder auszuweisen. Um das einlösen zu können, weichte Bayern die umstrittene 10-H-Regel auf. Anlagen dürfen künftig mit einem Abstand von nur noch 1000 Metern zur nächsten Wohnbebauung errichtet werden – zumindest in bestimmten Bereichen wie Industriegebieten, Autobahnen und Wäldern.

Das Potenzial steigt also, aber nicht jeder traut dem Braten. Die 10H-Lockerungen gingen auf den Druck aus Berlin zurück, sagt SPD-Fraktionschef Florian von Brunn. „Es ist wie im Verkehr: Nach einer Totalblockade fängt er langsam an zu fließen.“ Jetzt brauche es aber Fakten. Stefan Bachmaier, Geschäftsführer des Windpark-Betreibers „Ostwind“, redet Söder und Co. im Forst ins Gewissen. „Wir feiern heute die Inbetriebnahme einer einzigen Anlage“, sagt er. Um CO2-neutral zu werden, brauche es aber 150, pro Jahr. Dazu müsse das Tempo steigen. Von der Idee bis zur Fertigstellung eines Windrads dauert es laut Bachmaier oft fünf, manchmal bis zu zwölf Jahre.

Besonders an die Genehmigungsverfahren – Dauer: Minimum zwei Jahre – müsse die Politik ran. Um sie zu beschleunigen, verspricht Söder 100 neue Personalstellen, vor allem in den sieben Bezirksregierungen. Dann appelliert er noch an die Naturschutzverbände, sich mit Klagen zurückzuhalten, „für die nächsten 15 Jahre“. Kein Streit bedeutet: mehr Windkraft.

Wie gut das laufen kann, zeigt die neue Anlage im Forst. Es habe kaum Widerstand gegeben, keine einzige Klage, heißt es. Die Leute seien „positiv vorsichtig“ gewesen und hätten sich überzeugen lassen. Jetzt kann die Anlage – 125 Meter Nabenhöhe, 150 Meter Rotor-Durchmesser – 2400 Haushalte mit Ökostrom versorgen. Mit den beiden anderen Windrädern, die ein paar hundert Meter entfernt stehen, reicht der Strom für gut 7000 Haushalte.

Vielleicht ist Söders Besuch im Forst tatsächlich mehr als ein PR-Gag; bis vor Kurzem hätte sich jedenfalls kein Ministerpräsident in Bayern freiwillig neben ein neues Windrad gestellt. Weil das echte im Nebel versinkt, greift er irgendwann zu drei Windrädchen aus Papier, die man ihm hingestellt hat, und pustet. Dann lässt er noch eine Botschaft da: „Möge der Wind mit Euch sein.“

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